Merkwürdigkeiten

Prozessökonomie — das könnte der ideale Anwärter für das Unwort des Jahres sein. Um das Gerichtsverfahren zu beschleunigen und die Staatskasse zu entlasten, war bereits am ersten der zwei Prozesstage hinter verschlossenen Türen ausgehandelt worden, dass ein Teil der Angeklagten Geldstrafen zahlt und die Strafverfahren dafür eingestellt werden.

Das hatte die Vertreterin der Staatsanwaltschaft höchstselbst vorgeschlagen — obwohl es doch ihre Behörde war, die die vier Männer auf die Anklagebank gebracht hatte. Wie sich herausstellte, hatte die Oberamtsanwältin die Prozessakte noch gar nicht gelesen. Erst auf Intervention des Anwalts von Ronny Kockel machte die Vertreterin der Anklagebehörde einen Rückzieher.

Vor dem gestrigen Urteil musste sie sich erneut bei der Richterin erkundigen, wie denn ein Zeuge bei der Polizei ausgesagt hatte. Auch das wäre den Akten zu entnehmen gewesen.

Bei Strafverfahren ziehen Nebenklage und Staatsanwaltschaft üblicherweise an einem Strang, da sie das gleiche Ziel haben: Den Tätern ihre Straftaten nachzuweisen und einer gerechten Strafe zuzuführen, die letztlich das Gericht verhängt. Natürlich hat die Staatsanwaltschaft dabei auch Entlastendes zu berücksichtigen. Im Fall von Ronny Kockel schien die Oberamtsanwältin aber von vorneherein nicht von dem überzeugt zu sein, was in der Anklage stand. Und das, obwohl sie aus der Feder ihrer Kollegen stammt und davon auszugehen ist, dass zumindest diese die Ermittlungsakten kannten. Das alles vor Gericht zu erleben ist — vorsichtig ausgedrückt — schon sehr merkwürdig.

Dass eine andere Bewertung möglich ist, bewies die Richterin: Haftstrafen auf Bewährung — davon war die Oberamtsanwältin mit ihrer Forderung nach einer Geldstrafe weit entfernt.