Hindernis-Check mit Rollstuhl in Bockum
Antje Tippet kann nicht laufen. Sie beschreibt, wie behindertengerecht der Stadtteil ist.
Krefeld. Die Verbesserung der Barrierefreiheit in Krefeld ist regelmäßig Thema in Verwaltungsausschüssen und Bezirksvertretungen. Doch wie gut sind die Orte des täglichen Lebens für Menschen im Rollstuhl tatsächlich erreichbar? Wie erleben Menschen im Rollstuhl ihren Alltag, mit all den kleinen und großen Problemen, die es zu meistern gilt, bewegt man sich statt auf zwei Beinen mit der Kraft der Arme und auf Rädern fort? Niemand kann diese Fragen besser beantworten als eine Rollstuhlfahrerin selbst.
1992 lautete die Diagnose für Antje Tippet „Multiple Sklerose“. Seit 2008 sitzt die heute 48-jährige ehemalige Krankengymnastin im Rollstuhl und lebt mit ihrem Mann und ihrer Tochter an der Sollbrüggenstraße in Bockum.
Auf dem Weg ins Bockumer Zentrum muss Tippet direkt vor ihrer Haustür das erste Problem meistern: Die Bordsteine sind hier entweder gar nicht oder nur auf einer Straßenseite abgesenkt — vor Tippets Haus genau auf der gegenüberliegenden Seite. „Das bedeutet für mich, einen Umweg fahren zu müssen — oder jemanden um Hilfe zu bitten“, sagt sie. Dabei ist Antje Tippet eine aktive Frau, die so wenig wie möglich auf die Hilfe Anderer angewiesen sein will. „Ich möchte am sozialen Leben teilnehmen können.“
Nach mehreren schwer einsehbaren Straßenkreuzungen erreicht Antje Tippet die Postfiliale an der Buschstraße. „Hier komme ich nicht rein“, sagt sie und zeigt auf die beiden Steinstufen am Eingang, die sich vor vielen älteren Häusern in Bockum befinden. Wieder müsste ihr jemand helfen, aber Tippet beschließt, den Weg fortzusetzen.
„Viele Menschen erkennen die Hürden, mit denen ein Rollstuhlfahrer konfrontiert wird, gar nicht als solche“, stellt sie fest, Beispiele dafür seien Unebenheiten im Pflaster oder schmale Bürgersteige, zu steile Absenkungen und eben Stufen, bei denen das Umkippen drohe. Dabei findet sich jedoch kein vorwurfsvoller Unterton in Antje Tippets Stimme — sieht hat Verständnis dafür, dass Geld fehlt, die ganze Stadt behindertengerecht zu gestalten.
Am Bockumer Platz entdeckt man jedoch spätestens, wie die Gegensätze aufeinander prallen: Die neue Bahn-Haltestelle ermöglicht problemloses Ein- und Aussteigen mit dem Rollstuhl. „Das ist wirklich gut nutzbar und durchdacht“, kommentiert Antje Tippet. Das Bockumer Rathaus gegenüber wirkt dagegen wie eine Festung. Als sie vor der steilen und schmalen Asphaltrampe auf der Rückseite des Rathauses ankommt, regt sich die sonst ausgeglichene Frau auf: Der Versuch ihres Mannes, sie zum Abholen der monatlichen Beförderungsmarken für Behinderte hinauf zu schieben, sei einmal fast in der Katastrophe geendet. Und die Klingel am Fuß der Rampe nutzt Tippet aus Prinzip nicht: „Ich finde es entwürdigend, hier stehen zu müssen und auf einen Mitarbeiter zu warten, um dann eine Bitte vorzutragen.“
Die Tour geht weiter. Positivbeispiele für behindertengerechte Gestaltung sind viele Geschäfte rund um den Bockumer Platz. In die Apotheke, die Bäckerei, zur Sparkasse und in den Supermarkt gelangt Antje Tippet ohne Schwierigkeiten Auch die meisten Cafés bereiten ihr keine Schwierigkeiten. Zugang zum Friseur oder zum Optiker kann sie sich dagegen ohne Hilfe nicht verschaffen.
„Ecken und Kanten gibt es überall — und man kann auch nicht erwarten, dass alle abgerundet werden“, sagt Tippet zusammenfassend. Dank der Hilfe von Familie und Freunden sei sie ohnehin nicht in der Situation, alle Besorgungen und Pflichten des Alltags selbst erfüllen zu müssen.
Auf dem Rückweg geht es durch den gut befahrbaren Sollbrüggenpark. Antje Tippet erzählt: „Viele Menschen im Rollstuhl entwickeln eine ablehnende Haltung gegenüber der Hilfsbereitschaft anderer — ich habe aber nicht das Gefühl, krank zu sein.“
Im Gegenteil: Antje Tippet tanzt gern. Und das geht völlig barrierefrei, gemeinsam mit ihrem Mann beim TC Seidenstadt: Ein Partner im Rollstuhl, der andere auf den Beinen.