„Kleine Kinder können noch nicht aufräumen“

Ordnung kann kreative Prozesse anstoßen, sagt Angela Müller-Daniel aus Haan.

„Kleine Kinder können noch nicht aufräumen“
Foto: Ralph Matzerath

Haan/Monheim. Die Sozialpädagogin und Psychotherapeutin, die in Haan wohnt, arbeitet im Beratungscentrum an der Friedenauer Straße in Monheim in der psychologischen Beratung.

Viele Situationen profitieren von geregelten und klaren Strukturen, beispielsweise im Straßenverkehr, im Berufsleben und auch bei zwischenmenschlichen Beziehungen. Wie merke ich, ob der Alltag aus den Fugen gerät?

Angela Müller-Daniel: Der Mensch heute ist geprägt durch die Vielfalt — wir müssen uns ständig entscheiden. Das grenzt oft an Überforderung. Dieses permanente Entscheiden- müssen ist für unser Gehirn schwierig. Das wissen wir heute aus der Gehirnforschung. In der Frühzeit gab es keine große Auswahl. Wenn die Jäger ein Mammut erlegten, wurde das Fleisch eben tagelang gegessen. Gehe ich heute einkaufen, werde ich mit Angeboten überflutet. Wenn ich es nicht schaffe, mir vorher einen Plan zu machen, komme ich schnell ins Schleudern. Vielen fällt es schwer, sich zu konzentrieren und zur Ruhe zu kommen. Das sind aber wichtige Voraussetzungen, um das Leben zu ordnen.

Doch manchmal gibt es widerstreitende Interessen, beispielsweise zwischen Job und Familie oder bei Unternehmungen mit Freunden. Wie gehe ich damit um?

Müller-Daniel: Wichtig ist es, dass ich mein Problem benennen kann und es auch anspreche. Weiter geht es darum, mit dem Anderen eine kreative Lösung zu finden. Beide müssen dafür ein Stück aufeinander zugehen. Es stellt sich vielleicht auch die Frage, ob ich die Ordnung des Anderen lebe oder meine eigene. Ordnung schafft Sicherheit. Und nicht nur das: Wenn ich Ordnung mache, schaffe ich mir auch Freiräume für kreative Schritte.

Was passiert, wenn ich das ,Verworrene‘ nicht begreife?

Müller-Daniel: Wichtig ist es, bei sich selber zu entdecken, was man fühlt. Über das Gefühl komme ich eher zu einer Lösung.

Wie kann ich gegensteuern und damit aufräumen, was meinem Wohlergehen entgegen steht?

Müller-Daniel: Wenn ich das Gefühl benennen kann, habe ich die Möglichkeit, in einer konkreten Richtung nach einer Lösung zu suchen. Wenn ich wütend bin, steht dahinter vielleicht der Konflikt, dass ich nicht genug beachtet werde.

Warum ist Aufräumen so wichtig?

Müller-Daniel: Ich unterscheide zwischen einer Ordnung, die Freiräume gibt und mir beispielsweise hilft, Zeit zu sparen, und einer zwanghaft starren Ordnung, die keine Veränderung zulässt. Ein Beispiel: Wenn ich alle Figuren und Würfel von einem Spiel zusammen habe, kann ich es nur spielen, aber beim Aufräumen des Kinderzimmers kann ich immer wieder neu entscheiden, was noch wichtig ist oder was raus kann. Ordnung kann somit Veränderung und Entwicklung bringen. Um innerlich und äußerlich Ordnung zu schaffen, muss ich mich konzentrieren. Das fällt vielen schwer. Heute leben wir mit einer ständigen Reizüberflutung und werden permanent abgelenkt, beispielsweise durch E-Mails.

Wie wichtig ist die Frage nach der Verantwortung für das Chaos?

Müller-Daniel: Wir leben im Prinzip zwischen den beiden Polen von Ordnung und Chaos. Beides hat seine Berechtigung. Auch das Chaos birgt in sich ein Potenzial. Und wenn es nur der Anstoß ist, Ordnung zu schaffen. Viele wissen aber auch trotz Unordnung, wo die Sachen ihren Platz haben. Gerade kreative Köpfe mögen das Durcheinander, Albert Einstein beispielsweise hatte ein chaotisches Arbeitszimmer.

Wie Kinder. Sie scheinen die Unordnung zu lieben . . .

Müller-Daniel: Kleine Kinder können noch gar nicht aufräumen. Es ist ein Lernprozess, blaue Steine in die eine und rote Steine in die andere Kiste zu sortieren. Das setzt voraus, dass ich eine komplexe Situation reduzieren kann. In der Pubertät wollen Jugendliche dann vielleicht ihre eigene Ordnung haben und grenzen sich damit von den Eltern ab.