Oberleutnant rettet Gruiten
Vor 68 Jahren hat Johannes Baczewski Gruiten kampflos übergeben.
Gruiten. Frühjahr 1945, Zweiter Weltkrieg: Die Front rückt täglich näher an Gruiten heran. Wehrmachteinheiten kommen und werden wieder verlegt. Mit Munition beladene Lastwagen fahren nur noch nachts. Tieffliegerangriffe der Alliierten sind an der Tagesordnung.
An den ersten Apriltagen trifft das Ersatzbataillon 162 mit etwa 500 Soldaten unter dem Kommando von Oberleutnant Johannes Baczewski ein. Er soll die US-Truppen an der Bahnlinie Wuppertal-Düsseldorf aufhalten und ein weiteres Vordringen in Richtung Ruhrgebiet und Düsseldorf verhindern — ein fast unmöglicher Auftrag. Oberleutnant Baczewski richtet seinen Gefechtsstand im Keller des Hauses Bahnstraße 28 bei Familie Walter Lohoff ein.
Im evangelischen Pfarrhaus wird ein Feldwebel aus Barmen einquartiert. Weil er die Gegend gut kennt, muss er in der Nacht zum 15. April als Aufklärer in Zivil auf Schleichwegen bis nach Elberfeld gehen. Er sieht viele amerikanische Panzer, Wuppertal ist fast vollständig eingenommen. Der Feldwebel hat genug gesehen. In Gruiten berichtet er seinem Kommandeur und Pastor Johannes Koch über das Gesehene.
Johannes Baczewski, der mit Sicherheit kein ausgesprochener Nationalsozialist gewesen sein kann, unterhält sich in den wenigen Tagen seines Aufenthaltes in Gruiten mit seinem Gastgeber Walter Lohoff. Mit dem Kirchmeister der evangelisch-reformierten Gemeinde Gruiten spricht er auch über Sinn und Zweck einer Verteidigung von Gruiten. Sie sind sich „unter vier Augen“ schnell einig, dass der Krieg nicht zu gewinnen ist.
Am 15. April, als im Dorf bekannt wird, dass die US-Truppen im Begriff sind, über Gruiten in Richtung Westen vorzurücken, beraten sich Lohoff und Pfarrer Koch, wie sich die bevorstehende Abwehrschlacht verhindern lässt. Pastor Koch spricht auch mit seinem katholischen Kollegen, Prälat Bernhard Marschall, und Wilhelm Friederichs, stellvertretender Leiter des Amtes Gruiten, der trotz seiner amtlichen Stellung kein Nazi im ideologischen Sinne ist. Sie einigen sich darauf, dass sie in einem direkten Gespräch den Ortskommandanten von der Notwendigkeit einer kampflosen Übergabe überzeugen wollen.
Nach Einbruch der Dunkelheit machen sich Prälat Marschall und Friederichs trotz der verhängten Sperrstunde auf den Weg. Die mutigen Abgesandten schlagen sich bis zum Gefechtsstand durch. In geheimer Runde überzeugen sie die Offiziere von der Notwendigkeit einer kampflosen Übergabe. Offensichtlich widerspricht keiner der anwesenden Offiziere diesem Plan, ein Verrat an die NS-Behörden oder die SS ist nicht bekanntgeworden.
Am Vormittag des 16. April 1945 überquert Oberleutnant Baczewski mit einer weißen Fahne und in Begleitung eines Englisch sprechenden Feldwebels die Eisenbahnbrücke. Auf der anderen Seite kann er die Amerikaner von der Übergabe des Ortes überzeugen. Damit rettet er nicht nur Gruiten und viele Menschen, er verhindert auch die geplante Sprengung der Eisenbahnbrücke.
Der Einsatz der mutigen Männer aus Gruiten und die Einsicht der Offiziere, die gegen einen ausdrücklichen Befehl der Heeresleitung handelten, ist für Gruiten die Chance zu einem Neubeginn nach dem Krieg und den Erhalt des historischen Dorfes.