„Der Osten ist sehr weit weg“
Umfrage: Welche persönlichen Beziehungen und Erinnerungen haben die Hildener zum heutigen Tag der Deutschen Einheit?
Hilden. 20 Jahre Mauerfall, 19 Jahre Wiedervereinigung - inzwischen wächst eine Generation heran, die Selbstschussanlagen, Berliner Mauer und Deutsche Demokratische Republik (DDR) nur aus den Erzählungen ihrer Eltern und Großeltern oder aus Schulbüchern kennen. Die älteren Hildener wissen noch, mit welcher Euphorie die Öffnung der Grenzen zum damaligen Ostblock im Westen Deutschlands gefeiert wurde. Was ist davon geblieben? Die Westdeutsche Zeitung befragte gestern junge und ältere Passanten in der Fußgängerzone, welche Bedeutung der heutige Tag der Deutschen Einheit für sie persönlich hat:
Ein älterer Mann, der unerkannt bleiben wollte, drehte sich ärgerlich zur Seite und knurrte im Gehen, dass es besser sei, die Mauer wieder aufzubauen. Mit dieser Reaktion stand er - zumindest bei den Befragten - allein da. Herbert Naumann (81) etwa ist überzeugt, "dass die Wiedervereinigung richtig war". Er erinnert sich gut an die "aufregenden Tage des Mauerfalls". Für ihn war es eine "aufregende Zeit mit ungewisser Zukunft". Damals wie heute war er aber "eher zuversichtlich".
Für Benita Kückelhaus (34) hat sich persönlich durch die Wiedervereinigung nichts verändert, "aber ich freue mich für die Menschen in Ost-Deutschland". Im Fernsehen hat sie kürzlich noch einen Bericht gesehen, "der mich daran erinnert hat, wie die Menschen in der DDR eingesperrt wurden". Die Wiedervereinigung habe Deutschland zwar viel gekostet, "aber wir müssen bereit sein, von unserem Wohlstand abzugeben".
Ähnliches verbindet Rainer Augsburg (44) mit dem Tag der Deutschen Einheit: "Meinen Sommerurlaub habe ich mit meinem Sohn Simon in Brandenburg verbracht. Und als wir an Helmstedt vorbeikamen, habe ich daran gedacht, wie viele Stunden ich dort an der Zonengrenze gewartet haben." Heute sei es einfach schön, dort ohne Passkontrolle vorbeizufahren.
Die Kontrollen an der innerdeutschen Grenze kennt Daniele Di Piazza (23) nicht mehr. Die DDR ist ihm nur aus Erzählungen und aus dem Fernsehen bekannt. In seiner Bundeswehrzeit habe er viele Freunde und Kameraden aus dem Osten gewonnen. Auch deshalb betrachtet er die Einheit des Landes als etwas Gutes: "Es wäre schade, wenn es nicht so wäre." Mit einer Einschränkung: "Der Soli ist eine andere Sache."
Den würde auch Helene Heups (80) am liebsten abschaffen. Angehörige von ihr wohnen im Thüringer Wald, da wurde sie geboren, "aber Hilden ist meine Heimat". Sie erinnert sich noch gut an den Augenblick, als sie von der Maueröffnung erfuhr: "ich war mit dem Auto auf dem Weg zur Arbeit. Als die Meldung im Radio kam habe ich angehalten und geweint."
Die Bilder aus dieser Zeit berühren auch Julia Hermsen (17), obwohl sie damals noch nicht geboren war. "Das ist sehr emotional", sagt sie. Persönlich hat sie keine besonderen Beziehungen zum heutigen Tag. Dessen Bedeutung kennt sie aus den Erzählungen ihrer Großeltern, "die verbinden mehr damit".
Julia Hahn (34) hat persönliche Beziehungen zum heutigen Tag: "Ich kenne beide Seiten." Sie ist in Ost-Berlin aufgewachsen und 1986 mit zehn Jahren in den Westteil der Stadt umgesiedelt. In den Osten würde sie nie wieder zurückgehen, "weil die Ost-Berliner immer meckern. Früher über das, was sie nicht hatten, und heute über das, was sie verloren haben. Alles kann man aber nicht haben."
Doch trotz aller Probleme ist es für Norbert Niegeloh (45) eher eine Freude, "dass wir wieder ein geeintes Deutschland haben". Auch wenn er keine Beziehungen oder Kontakte in die fünf östlichen Bundesländer hat, ist er doch froh, "dass es wieder ein Deutschland gibt".