Die Kinder der Gastarbeiter

Jugoslawen und Italiener schufteten im Gruitener Kalkwerk. Maria Diederichs erinnert sich an den Weg ihrer Familie.

Gruiten. Giuseppe Bottega ist früh allein auf der Welt. Mit sieben Jahren wird er zur Waise. Es ist das Jahr 1890. Er geht zu einem Bauern in seinem Geburtsort Treviso in Norditalien, weil er hofft, etwas zu essen zu bekommen. Er bekommt aber bloß - Schläge. Solche Erfahrungen sorgen dafür, dass Bottega lange Zeit seines Leben auf Wanderschaft verbringt. Bis er in Gruiten eine Heimat findet - und aus dem kleinen Beppo Johannes wird.

Wenn man heute Maria Diederichs begegnet, käme man wohl kaum auf die Idee, dass man es nicht mit einer typischen Gruitenerin zu tun hat. Auf alten Fotos sticht sie aber auch aus einer größeren Menschenmenge heraus mit ihrem charakteristisch geschnittenen Gesicht und der schwarzen Haarpracht. Marias Eltern waren Italiener, ihr Vater Giuseppe Bottega. Sie ist eines der letzten Gastarbeiterkinder des Gruitener Kalkwerkes. Fast vergessen ist, dass in den Gruitener Steinbrüchen in der ersten Hälfte vorigen Jahrhunderts zahlreiche Gastarbeiter schufteten. "In Gruiten lebten viele Bauern, deren Söhne kein Interesse daran hatten, in den Kalkwerken zu arbeiten", erklärt Maria Diederichs.

Im Alter von 14 Jahren treibt es Giuseppe Bottega in die Ferne. Er arbeitet beim Tunnelbau in der Schweiz, dann findet man ihn in Jugoslawien und in Frankreich. Dort hört er von Kollegen von den deutschen Kalkwerken. Bislang kehrte er in den Wintermonaten immer nach Italien zurück. So lernt er dort auch Maria kennen, die er 1910 heiratet. Bald wird das erste von neun Kindern geboren. Maria will nicht alleine in Italien bleiben, und so siedelt die Familie für immer ins Bergische um - zuerst nach Dornap, dann nach Gruiten. Hier wird aus dem italienischen Beppo ein deutscher Johannes.

Die Mehrzahl der Gastarbeiter wohnt in der Ehlenbeck und an der Düsseler Mühle, vor allem Italiener und Jugoslawen. "Es waren auch welche aus Frankreich da, aber denen war die Arbeit wohl zu schwer", so Maria Diederichs. Die Kinder wachsen zweisprachig auf, ihre Mutter beherrscht die fremde Sprache nur schlecht. "Sie hatte immer Heimweh nach ihren Geschwistern."

Die Gastarbeiter sind schnell ein ganz normaler Teil des Dorflebens. "Wir waren integriert", so Diederichs, "und jeder kannte jeden in Gruiten." Nach der Schule wird Diederichs Verkäuferin im Konsum, wo sie Johann kennenlernt und heiratet. In der neuen St. Nikolaus-Siedlung bauen sie ein Eigenheim. Bis 1966 wohnt auch Mutter Maria bei ihnen, der Vater stirbt 1957.

Über 50Jahre sang Maria Diederichs im Kirchenchor Cäcilia, heute ist sie Mitglied bei den "aulen Gruitenern". Mit ihren Verwandten in Treviso steht sie bis heute in Briefkontakt. Äußerlich erinnert an ihre Herkunft kaum etwas, so wie auch die Kalkwerke verschwunden sind.