Weihnachten im Kinderheim
18 Kinder und Jugendliche leben derzeit im Kinderheim an der Lievenstraße in Hilden — manche sind auch über Weihnachten dort.
Hilden. Thomas ist erst seit wenigen Wochen im Heim. Ganz angekommen ist er zwar noch nicht, aber eines steht für ihn bereits fest: „Es geht mir viel besser als früher.“ Und: „Ich kann mich jetzt auf die Schule konzentrieren.“ Der 15-Jährige besucht die Realschule, und er lebt im Evangelischen Kinderheim an der Lievenstraße. Für Robin ist es wichtig, dass er in der Schule gut klarkommt, denn nächstes Jahr will er seine Mittlere Reife machen. Früher, als er bei seiner Mutter lebte, ging das nicht. Sie war schwer alkoholkrank, ließ den Sohn nachts nicht schlafen und tags nicht lernen. Die Mutter ist gestorben. Thomas muss den Schmerz erst noch verarbeiten. Das Jugendamt brachte den Jungen im Hildener Heim unter — und damit in die Obhut von Hans Delcuve.
Er leitet das Haus seit 1997, ist zum Mittelpunkt geworden für etliche Acht- bis 18-Jährige, die seither Zuflucht finden konnten in der alten Villa. „Die meisten“, sagt Delcuve, „bleiben mehrere Jahre hier.“ So wie Dustin. Er ist 17 und arbeitet jetzt daran, eine Lehrstelle zu finden und im nächsten Jahr in eine der betreuten Gruppen zu ziehen, die das Haus ebenfalls vorhält. „Ich habe hier gelernt, mich zurechtzufinden, mit meinem Geld und meinem Alltag klarzukommen“, erzählt er. Das mit dem Zimmer aufräumen und Wäsche waschen sei ihm anfangs schwergefallen, „aber das gehört eben dazu“. In Gruppen Geborgenheit zu vermitteln und zu helfen, sich selbst zu helfen — das gehört zu den Aufgaben, die sich der Evangelische Trägerverein des Heims auf die Fahne geschrieben hat.
„Wir sehen uns nicht als die besseren Eltern und wollen keine Konkurrenz sein“, sagt Delcuve. „Wenn es gelingt, ist eine positive Entwicklung schnell und nachhaltig erkennbar.“ Dann könne auch eine Rückführung in die Familie gelingen: Das Heim arbeitet eng mit den Eltern zusammen, wenn es denn möglich ist. Manfred Wiedelbach, seit 31 Jahren Erzieher an der Lievenstraße, hat das oft erlebt. Er sieht den Erfolg des Heims mit darin begründet, dass es neben den sechs Pädagoginnen auch vier männliche Erzieher gibt. „Das ist wichtig, nicht nur für die Jungen“, sagt Wiedelbach, der sich besonders gern um Sport in der Freizeit und ums gemeinsame Einkaufen kümmert.
Derzeit sind alle 18 Plätze des Hauses belegt. Die Mädchen und Jungen kommen vor allem aus Hilden und Haan, das Heim nimmt aber Kinder aus dem ganzen Kreisgebiet und manchmal auch aus Wuppertal auf. Immer haben die Kinder und Jugendlichen Missbrauchs- oder Gewalterfahrungen, Trennungs- oder Beziehungsprobleme. Schwer Traumatisierte nehmen Delcuve und sein Team allerdings nicht auf: Das Heim gehört zu den Regeleinrichtungen und muss Therapeuten von außen hinzuziehen, wenn sie benötigt werden. Körperlich oder geistig behinderte junge Menschen können dort nicht betreut werden.
Wie viele Tränen, aber auch Glück und Freundschaft das alte Haus gesehen hat, kann nur die Fantasie ausschmücken: Schon seit 1932 ist es ein Kinderheim, bot später Kriegswaisen Zuflucht. Damals folgten Hildener Industrielle dem Aufruf des damaligen evangelischen Pfarrers Ibling und gründeten den Verein „Evangelisches Kinderheim“ und das erste Kinderheim. Als Wesens- und Lebensäußerung der Evangelischen Kirche ist das Heim laut Vereinssatzung mit der Kirchengemeinde Hilden verbunden und Mitglied des Diakonischen Werkes der Kirche im Rheinland.
Thomas gehört zu den Bewohnern, die Weihnachten im Heim verbringen werden. Grundschüler Luca ebenfalls. Schlimm finden die beiden das gar nicht, sie freuen sich auf Spaziergänge, auf den Gottesdienst und gemütliche Stunden in ihrem Gruppen-Wohnzimmer. Luca wollte versuchen, sich mit seinem neuen Schulfreund, der gar nicht weit weg wohnt, zum Spielen zu verabreden.
Ob das funktioniert hat?