Drama in Ratingen: Todesschüsse im neunten Stock

Nach dem Polizeieinsatz mit tödlichem Ausgang ist West wieder im Fokus der Medien.

Ratingen. "Ob das hier eine gute Adresse ist?" Die Mieterin in dem Gebäudekomplex Berliner Straße85 zuckt resignierend die Schulter. Im Sommer 2006 brachte ein verheerender Brand mit zwei Toten das Hochhaus in die Schlagzeilen, und jetzt noch das. Sie will nicht genannt werden, dreht ab. Mit "das" meinte die Frau den abendlichen Polizeieinsatz, bei dem der offenbar psychisch verwirrte 43-jährige Irenäus Z. von einem jungen Polizisten erschossen wurde, der seinen angegriffenen Kollegen (32) schützen wollte. Das Ereignis sorgte am Mittwoch für einen großen Auflauf von Fernseh- und Radioreportern. Immer wieder umschwärmten Kamerateams den großen, grauen Betonkasten, dessen Front mit blauen Farbakzenten etwas die Tristesse genommen wurde. Auf der Rückseite bieten die großen Satellitenschüsseln und aufgehängte Wäsche auf den Balkonen dem Auge etwas Abwechslung. Ein Mitbewohner, der "alles nicht so genau mitbekommen hat", druckst vor einem Mikrofon herum, andere Mieter wehren Fragen gleich ab. Der Medienrummel fängt an zu nerven.

Viele haben von den dramatischen Ereignissen nichts mitbekommen

Wer hat überhaupt etwas von dem Drama im neunten Stock bemerkt? Viele kamen erst nach draußen, als die drei Schüsse durch die Nacht peitschen und die Blaulichter der Einsatz- und Rettungswagen die grauen Hauswände unwirklich aufblitzen ließen. Von der stundenlangen Angst, die die 76-jährige Mieterin und ihr 53-jähriger Sohn ausgestanden haben, haben nur die unmittelbaren Nachbarn etwas mitbekommen. Dabei war Irenäus Z. als Untermieter offenbar nicht problemlos: Die Polizei musste in den vergangenen Monaten zweimal einschreiten. Er war an der Anschrift nicht gemeldet, die 76-Jährige hatte ihrem Landsmann in ihrer Wohnung Unterkunft gewährt, "weil sie wohl eine soziale Ader" hatte, formulierte Dietmar Wixfort, der die polizeilichen Ermittlungen leitete. Warum Irenäus Z. ausgerastet ist, darüber kann die Polizei nur noch spekulieren: "Er hatte möglicherweise Verfolgungswahn", so Wixfort. Er habe von der Mafia gesprochen, dass er sich verfolgt fühle - und habe sich das auch von den Beamten nicht ausreden lassen. Die psychische Extremsituation sei möglicherweise auch eine Erklärung dafür, dass das Pfefferspray so wirkungslos geblieben war und der Einsatz diese verhängnisvolle Wende nahm, so Polizeisprecher Ulrich Löhe. Die Staatsanwaltschaft und das für Tötungsdelikte zuständige Kriminalkommissariat11 in Düsseldorf nahmen am Dienstagabend gleich die Ermittlungen auf. Der junge Beamte, der die drei tödlichen Schüsse abgefeuert hatte, konnte noch nicht vernommen werden - er steht noch unter Schock und wird psychologisch betreut. Warum die Beamten vor Ort nicht weitere Verstärkung oder ein Sondereinsatzkommando angefordert haben, erklärte Dietmar Wixfort gestern Mittag auf einer Pressekonferenz: Der Ablauf sei so nicht geplant gewesen. "Durch das Eingreifen des Sohnes mussten die Beamten handeln und sofort eingreifen." Die anderen drei Beamten am Tatort sollten nicht ins Geschehen eingreifen, sondern das Umfeld sichern. Gegen den Polizisten, der die Schüsse abgegeben hat, werde kein Ermittlungsverfahren eingeleitet. "Sein Kollege war in erheblicher Gefahr, er hat in Nothilfe gehandelt", so Staatsanwalt Ralf Herrenbrück.