Ratingen: Botaniker und Seelentröster
Julian Sänger macht bei der Stadt eine Ausbildung zum Friedhofsgärtner – ein Beruf, bei dem er täglich mit dem Tod konfrontiert wird.
Ratingen. Mit beiden Händen in der Erde fühlt er sich am wohlsten. Schon früher hat sich der 18-Jährige im Garten von seinem Onkel das Handwerkszeug zeigen lassen. Als kleiner Knirps saß er neben ihm im Gras, ging ihm bei der Bepflanzung der Beete zur Hand, war fasziniert von dem Geschick und dem Wissen seines Onkels.
Ratingen. So wie er wollte Julian Sänger werden - immer mit beiden Händen in der Erde. Heute ist er in seinem dritten Ausbildungsjahr bei der Stadt - als Friedhofsgärtner. Er gestaltet Gräber, pflegt und säubert sie, bindet Trauerkränze- und Gestecke. Bald steht im eine neue Herausforderung bevor: Die Beratung von Kunden - Menschen, die sich in der schwierigsten Phase ihres Lebens befinden, die den Tod eines Angehörigen verkraften müssen.
Julians Meister Heribert Müller ist zuversichtlich, dass Julian auch diese Aufgabe gut meistern wird. Bis jetzt hat sich Julian eher auf die handwerkliche Seite des Berufs konzentrieren können, bald heißt es für den schüchternen 18-Jährigen, auch den Kundenkontakt nicht zu scheuen.
Die Berufsschule lehrt schließlich nur die trockene Theorie. "Im Blockunterricht lernen wir, wie wir auf unterschiedliche Kundentypen eingehen müssen. Wenn beispielsweise jemand besonders vorlaut oder sensibel ist, müssen wir unterschiedlich reagieren", erklärt Julian. Dass sich die Theorie nicht einfach in den Alltag übersetzen lässt, weiß er aber ganz genau.
Schon mehrmals begleitete er seinen Meister bei Beratungsgesprächen. Dabei nehmen die Friedhofsgärtner den Trauernden die Last ab, sich über die Gestaltungsmöglichkeiten des Grabes und die Symbolik der verwendeten Pflanzen den Kopf zerbrechen zu müssen. "Die Pflanzen müssen nicht nur zum Grabstein passen, sie sollten auch den verstorbenen Menschen widerspiegeln", weiß Müller. "Das ist den Angehörigen sehr wichtig. Sie haben aber in der Trauerzeit nicht die Energie, sich damit auseinanderzusetzen", erklärt er.
In Pflanzenkunde macht Julian niemand mehr so leicht etwas vor. Für seine Abschlussprüfung Mitte Juni nächsten Jahres muss er 500 Pflanzenarten ganz genau kennen. "Das ist wie Vokabeln lernen, irgendwann hat man’s drauf", sagt Julian optimistisch. Das Beste an seinem Job sei aber die Arbeit im Freien. "Klar, ist das nicht immer so schön. Aber auch an den Regen gewöhnt man sich schnell", sagt Julian und riskiert einen Blick zum Meister. Der grinst zurück: "Da muss man dann auch mal durch."
Über das was sich unter der Erdschicht in den Gräbern verbirgt, macht sich Julian während seiner Arbeit keine Gedanken. "Zwischen mir und den Toten ist genügend Platz", sagt Julian schmunzelnd. Mit der Zeit sei man einfach daran gewöhnt, stumpfe womöglich auch ganz einfach etwas ab. "Man konzentriert sich auf die Bepflanzung, auf das Handwerk."
Besonders während der Trauertage Allerheiligen und Totensonntag gibt es auf den städtischen Friedhöfen viel zu tun. "Viele Angehörige kommen nur einmal im Jahr zu den Trauertagen. Den Rest des Jahres verwahrlosen die Gräber regelrecht", sagt Müller. Aus Mangel an Zeit für die Grabpflege gehe der Trend eindeutig zu den anonymen Bestattungen - ein Trend, der es den Friedhofsgärtnern heute sehr schwer macht.
Julian macht sich über seine Zukunftsperspektiven aber zurzeit noch keine Sorgen: "Ich werde einfach gucken, wie es weiter geht. Es ist immer gut, alles auf sich zukommen zu lassen." Wenn er seine Ausbildung im Sommer erfolgreich beendet, wird er erst einmal für ein Jahr von der Stadt übernommen.