Ratingen: Geburtstag - Lotsen im Behörden-Urwald
Das Projekt „Familienlotsen“ wird ein Jahr alt und zählt 100 Einsätze. Frauen bieten zugewanderten Familien Hilfe bei Problemen des Alltags.
Ratingen. Noura Charrouq ist mit 16 Jahren aus Marokko nach Deutschland gekommen. Die 36-Jährige erinnert sich noch gut daran, wie schwer es ihrer Familie damals fiel, sich zwischen deutschen Paragraphen und Behördengängen zurechtzufinden, Formulare auszufüllen oder sich beim Arzt verständlich zu machen.
"Ich kannte mich nicht aus, war vollkommen aufgeschmissen. Ich hätte mir gewünscht, dass mich jemand an die Hand nimmt, der sich auskennt, der die deutsche Sprache beherrscht", sagt sie. Heute ist Charrouq Familienlotsin, begleitet Familien mit Verständigungsschwierigkeiten oder Berührungsängsten zu Elterngesprächen in der Schule, zu Sprechstunden in Beratungsstellen oder Ärzten, zu Ämtern oder Institutionen.
Wie ihre elf Kolleginnen spricht sie gleich mehrere Sprachen, kann ins Deutsche Übersetzen und damit für viele Migranten Probleme aus der Welt schaffen. Am Freitag feierte das Projekt einjähriges Bestehen.
Mit dem Projekt "Familienlotsinnen in Ratingen West" möchte das Büro für interkulturelle Arbeit der katholischen Kirchengemeinde Heilig Geist, Zuwanderungsfamilien eine kostenlose Hilfe anbieten, um sie bei der Integration zu unterstützen. Die zwölf Lotsinnen beherrschen insgesamt zwölf Sprachen, darunter Arabisch, Marokkanisch, Französisch, Spanisch, Türkisch, Polnisch oder Chinesisch.
"Wir helfen bei Problemen, wollen aber nicht Dolmetscher oder Familienberater sein", erklärt Büroleiterin Serena Cerra. "Ab einem bestimmten Punkt müssen die Familien selbstständig weitermachen. Wir nehmen ihnen die Aufgaben nicht ab, wir geben nur eine Starthilfe und vermitteln gegebenenfalls an weitere Stellen", erläutert Cerra.
Die Lotsinnen motivieren die Familien, an Deutschkursen teilzunehmen, und gehen mit ihren Deutsch-Kenntnissen selbst als bestes Beispiel für gelungene Integration voran. "Ich habe einer Frau während ihrer Scheidung beigestanden, habe einen Anwalt gesucht, Termine vereinbart und Briefe aufgesetzt", erzählt Lotsin Fatima-Zohra Asrih-Zefzafi.
Wie ihre Kolleginnen besuchte sie einen Kurs im Familienzentrum, wurde von Cerra angesprochen, ob sie nicht Lust hätte, das Projekt zu unterstützen. "Es ist schwer, sich durch den Beamten-Dschungel zu kämpfen. Auch wir können nicht jeden Paragraphen kennen, aber wir können Familien Ansprechpartner an die Hand geben", sagt die Mutter von vier kleinen Kindern. Die Lotsinnen arbeiten alle ehrenamtlich.
Für jeden Einsatz gibt es eine Aufwandentschädigung von zehn Euro. Einige Fälle nehmen aber mehrere Stunden in Anspruch. Die Frauen müssen sich auf die verschiedenen Situationen vorbereiten, sich Vokabeln zurechtlegen. "Bei Arztbesuchen beispielsweise, wenn es um medizinischen Fachbegriffe geht", erklärt Cerra.
Die Frauen sind mit viel Engagement bei der Sache. "Es geht um die gute Sache. Wir helfen schließlich nicht zuletzt auch, die Kindern zu entlasten. Die müssen nämlich oft als Dolmetscher herhalten, weil ihre Eltern die Sprache nicht beherrschen", sagt Cerra. Mittlerweile sind die Lotsinnen in Ratingen bekannt, werden auf der Straße angesprochen oder auch angerufen. "Wir zählen seit Projektbeginn rund 100 Einsätze", beziffert Serena Cerra.
Regelmäßig treffen sich die Frauen im Familienzentrum, um sich auszutauschen, sich gegenseitig zu stärken und voneinander zu lernen. Dabei halten sie sich strikt an ihre Grundsätze. "Die Fälle werden alle anonym behandelt. Wir unterliegen der Schweigepflicht", sagt Cerra.
Einzelne Institutionen haben sich bereits angeboten, das Projekt finanziell zu unterstützen. "Schließlich profitieren auch die Institutionen von den Frauen. Sie wirken als Multiplikatoren."