Ratingen: Kopf hoch – und schreien
Kurs: Sicherheit ist vor allem eine Sache des Selbstbewusstseins. Das lernen Senioren jetzt erstmals in einem speziellen Training.
Ratingen. Wenn Irmhild Elsiepen von dem Exibitionisten erzählt, der ihr neulich aufgelauert hat, staunt sie selbst über den Mut, den sie da plötzlich hatte. Der Mann versperrte ihr einen schmalen Fußweg an der Industriestraße, doch statt vor ihm zu fliehen, ging sie schnurstracks weiter und sagte im Vorbeigehen auch noch betont gütig: "Bleiben sie schön ruhig." Für einen Moment waren die Rollen wie vertauscht, der Mann suchte verunsichert das Weite.
Das klingt so drollig, dass Irmhild Elsiepens Zuhörer lachen müssen. Die zehn Frauen und zwei Männer, allesamt Senioren, sind gestern zum ersten Mal zusammen gekommen, um etwas darüber zu lernen, wie Selbstbewusstsein zur Sicherheit beiträgt.
Ihre Trainerin ist Marlies Keitel, die mit ihren 59 Jahren das denkbar beste Vorbild ist: Was ihr an Körpergröße fehlt, gleicht sie mit fester Stimme und aufrechter Haltung mehr als aus, jede Bewegung strotzt bei ihr vor Energie. "Die Täter haben einen Blick dafür, mit wem sie’s machen können", bläut sie der Gruppe ein.
Doch um Theorie geht es beim Selbstbehauptungstraining weniger, die Praxis steht im Vordergrund. Marlies Keitel drückt einer Teilnehmerin eine Gurtschlaufe in die Hand und beginnt ein stummes Tauziehen - der Gurt könnte schließlich eine Handtasche sein. Ihr Gegenüber hält tapfer fest. Zweite Runde: Diesmal zerrt Marlies Keitel nicht nur, sie brüllt plötzlich auch. Irritiert lässt ihre Schülerin los.
"Macht etwas Sport, das stärkt enorm das Selbstbewusstsein", lautet einer von Keitels Ratschlägen. In den insgesamt sechs Stunden will sie vermitteln, wie mit festem Blick und gehobener Stimme viele gefährliche Situationen zu entschärfen sind.
Die Ängste auf der anderen Seite sind groß. "Am Abend nehme ich mir immer ein Taxi", sagt eine in der Runde. "Wenn mir drei Jugendliche auf dem Bürgersteig entgegen kommen, trete ich lieber auf die Straße", sagt eine andere. "Bloß nicht!" hält Keitel dagegen. Wer sich wie ein Opfer fühlt, wird auch eines.
Etwas abseits sitzt Karla Geyr von der Diakonie und ist begeistert. Die Koordinatorin in Sachen Altenhilfe hat das Selbstbehauptungstraining mit ins Leben gerufen. Die Aktionen zur Seniorensicherheit im Kreis wollte sie durch praktische Übungen ergänzen. "Der Enkeltrick wird überall erklärt, trotzdem haben viele Senioren Angst, nach draußen zu gehen."
Das Konzept für den Kurs hat die Diakonie eigens mit Fachleuten und der Trainerin entwickelt. Es sollte weniger um Selbstverteidigung gehen, derlei Akrobatik ist für viele ältere Menschen nichts mehr, sondern um Bewusstsein und Selbstbewusstsein. Marlies Keitel sagt’s ihren Teilnehmern so: "Wenn ihr das nächste Mal in eine so eine Situaion kommt, denkt ihr dran, was die Marlies gesagt hat: Kopf hoch, Ellbogen an den Körper - dann passiert auch nichts."