Kempen/Tönisvorst So paradiesisch ist einer der schönsten Gärten in NRW

Kempen/Tönisvorst · Direkt an der Grenze von Kempen und Tönisvorst liegt einer der schönsten Gärten von NRW. Eine zufällige Begegnung mit Erholungsfaktor.

Der blaue Hortensienbusch – einst Mini-Setzling aus der Bretagne – ist der große Stolz von Beate Middelmann und Siegfried Dämkes. Auch wenn er ihre Haustür eingenommen hat.

Foto: Juliane Kinast

Der Grenzgang Kempen-Tönisvorst beginnt schon an der Autobahn: Die Abfahrt heißt Tönisvorst, man biegt sogleich ab in die Kempener Straße – und ist doch noch vollkommen auf Willicher Hoheitsgebiet. Die Kempener Straße schneidet sich einmal mitten durch das kleine Tönisvorst und strebt ihrer Heimat entgegen. Vor allem aber: hinaus auf überreife, sonnengebleichte Getreidefelder und ein Land, so platt, dass eine Murmel auf dem Boden vermutlich einfach liegen bliebe. Sommerliches Nichts. Auf der Suche nach einer Geschichte. Irgendeiner Geschichte. Die gibt es bekanntlich überall. Und plötzlich ist da ein mannshoher Hortensienbusch in voller himmelblauer Blütenpracht.

Der Busch hat die Haustür eines kleinen weißen Häuschens mit blauen Holzfensterläden fast vollständig überwuchert. Neben ihm stecken Skier im Boden, auf der anderen Seite sitzt ein Drahtpuppe – Igor, wie später zu erfahren ist. Neben dem Häuschen schließt sich ein kleiner Hof mit einer Halle an, auf deren Fassade ein Schild auf eine alte Schmiede hinweist; dahinter steht auf dem Rasen ein ganzer Skulpturenpark aus rostiger Stahlkunst. Eine Klingel gibt es nicht, dafür schießt ein großer schwarzer Bouvier um die Ecke und knurrt wütend. „Hallo?” Ein Mann in Karohemd und Cordhose schaut um die Ecke. Es ist Siegfried Dämkes. Kurz darauf, auf seiner Terrasse bei kalter Zitronenlimonade, gibt es eine Geschichte. Davon, wie Siegfried Dämkes und Beate Middelmann sich auf der Grenze von Kempen und Tönisvorst ein Paradies geschaffen haben.

Der Bambushain ist fast komplett zugewuchert.

Foto: Juliane Kinast

Kennen gelernt haben sich die beiden vor fast 40 Jahren in Berlin. Er Student vom Niederrhein, sie Krankenschwester aus dem Ruhrgebiet – getrieben von Sehnsucht nach der großen Stadt. Heute leben sie mit einem Hund, zwei Katzen, einer Horde Hühner und hunderten Bienen auf 4500 Quadratmetern im Grenzland, wo es nicht einmal Straßennamen, sondern noch Honschaften – aus dem Mittelalter erwachsene kleinste Verwaltungseinheiten – gibt. St. Peter heißt ihre.

Vor fast 20 Jahren entschied das Paar sich für das ultimative Landleben. Auch aus einem Lebenswunsch von Siggi Dämkes heraus: „Er wollte immer schon eine Dampfmaschine haben”, erklärt seine Frau lächelnd, als wäre es das Natürlichste der Welt. Sie fanden die verwitterte alte Landschmiede aus dem 19. Jahrhundert; zuletzt belebt in den 50ern durch eine Großdreherei, die Teile für die Schifffahrt herstellte. Sie kauften einen Trecker, um das riesige Grundstück völlig umzugraben, sanierten aufwändig und fast in Eigenregie das kleine Wohnhaus – nur die Schmiedehalle mit den alten Holzbalken und dem alten Backstein blieb fast unberührt. Bis auf das meterlange Monstrum von Dampfmaschine, das jetzt tatsächlich in ihrer Mitte aus dem Betonboden ragt. „Im nächsten Leben sammel’ ich Briefmarken – ist leichter”, sagt Dämkes verschmitzt lächelnd. „Aber nu steht sie eben da und frisst kein Brot.”

Ein Mann verwirklicht einen Jungentraum: Siegfried Dämkes’ Dampfmaschine in der alten Schmiedehalle.

Foto: Juliane Kinast

Platz für seine zwei Schlagzeuge ist trotzdem noch. Und für seine „Schrottkunst”, wie der 66-Jährige sie selbst nennt. Schweißen lernte er eigentlich, weil seine Liebste ein paar Rosenbögen für ihren Garten brauchte. Und auch der ist heute ein gigantisches Gesamtkunstwerk – zu sehen jedes Jahr bei der Aktion „Offene Gartenpforte”, diesmal am 14. und 15. September.

Viele der Bäume und Pflanzen hat Beate Middelmann mal in kleinen Blumentöpfen geschenkt bekommen. Auch weil sie sich ein Heer aus Gärtner gar nicht hätte leisten können. Unter ihrer sanften Pflege sind sie zu dem verwunschenen Paradies zusammengewachsen, das heute mit seinem Gartenzaun gleichzeitig die Grenze zu Tönisvorst markiert. Wie die Ahornbäume, die als kleine Stängelchen kamen und nun den scharrenden Hühnern Schatten spenden; oder der Walnussbaum im hintersten Winkel des Gartens vor den Bienenkörben, den sie zur Hochzeit bekamen und der mit der kleinen Holzbank neben seinem dicken Stamm heute einer ihrer Lieblingsplätze ist. Oder wie die Riesenhortensie, mit der diese Geschichte begann und die die 60-Jährige mal als kleinen Ableger von einer Reise in die Bretagne mitbrachte. Gerade zieht Middelmann Palmensamen heran, die sie in ihrem allerersten Urlaub auf Mallorca erstanden hat.

Ihre Hühner pflegt Beate Middelmann. Auf Namen verzichtet sie lieber – denn die Hähne landen irgendwann auf ihrem Teller.

Foto: Juliane Kinast

Die Duftrosen, aus denen Beate Middelmann für gewöhnlich Gelee einkocht, haben in diesem Jahr unter dem Wetter gelitten. Dafür ist der Bambushain so gewuchert, dass man sich nur mit Mühe zu den Liegestühlen in seiner Mitte vorkämpfen kann. Auch deshalb macht das Paar jedes Jahr bei der „Offenen Gartenpforte“ mit: um einen Anlass zu haben, lange Liegengebliebenes zu richten. Und liegen bleibt auf dem riesigen Grundstück immer etwas. „Von englischem Golfrasen habe ich mich gleich verabschiedet”, sagt Middelmann. „Das Unkraut wuchert hier, wie es will.“ Sie pflegt ihren Garten und ihre Tiere mit Liebe – stylt aber nicht.

Die fehlende Klingel ist seit 20 Jahren Thema

Überall verfängt sich der Blick in Besonderheiten. In einer wunderschönen pinken Lilie. Oder in dem kleinen Schalke-04-Vogelhäuschen. Der alten Bahnhofsuhr, die das Paar beim Umbau der Station in Siggi Dämkes’ Geburtsort den Bauarbeitern abgeschwatzt hat. Sie überragt seinen Skulpturenpark, der Zeiger auf fünf nach zwölf. „Typisch, bei mir wär es fünf vor zwölf gewesen”, sagt Beate Middelmann, lacht und erklärt das nicht weiter.

In jedem Winkel des 4500-Quadratmeter-Gartens gibt es Blüten und Details, die einen zweiten Blick wert sind.

Foto: Juliane Kinast

Das kleine Grenzparadies hat sich herumgesprochen. Eine Werbeagentur hat mal Fotos im Garten geschossen, ein Malkurs ihn als Kulisse genutzt, ein Brautpaar kam zum Shooting und räkelte sich auf Siggi Dämkes Dampfmaschine.

Blütenpracht im Garten.

Foto: Juliane Kinast

Ansonsten genießen die beiden ihre Ruhe, die nur von Traktoren der umliegenden Bauernhöfe und einer steigenden Zahl an Rennradlern unterbrochen wird. Die Grenze an sich spielt keine Rolle in ihrem Leben – seit sie gelernt haben, dass die Müllabfuhr bei ihnen nicht kommt, wenn der Nachbar von gegenüber seine Tonnen rausstellt. Bekannt ist man grenzüberschreitend mit jedem im Umkreis von 500 Metern. Es sind nicht so viele. Und der Postbote weiß, dass er hupen muss. „Ja, die Klingel“, sagt Siggi Dämkes und kratzt sich am Kopf. „Darüber reden wir auch seit 20 Jahren ...” Bisher brauchen sie sie nicht. Und zu tun ist auch ohne solche Luxusarbeiten genug.

Einfacher ist es, seit Dämkes - früher Projektleiter bei Vodafone in Düsseldorf – in Rente ist. Beate Middelmann arbeitet noch als Heilpädagogin in Viersen. Was mal wird, wenn sie beide zu alt sind, um Haus und Paradies zu bewirtschaften, haben sie noch nicht zu Ende gedacht. „Aber der Gedanke ist schon, es dann auch wieder loszulassen”, sagt der 66-Jährige.

Den eigenen Skulpturenpark überragt die alte Anrather Bahnhofsuhr.

Foto: Juliane Kinast

Bis dahin wird aber noch viel Zeit vergehen, werden Middelmanns kleine Palmenstängelchen vermutlich zu stattlichen Palmen herangewachsen sein. Einstweilen werden sie ihren Bambushain lichten und am 14. September mit Eistee auf ihre dreistellige Zahl von Besuchern warten, darunter viele „Wiederholungstäter”, wie Beate Middelmann sagt. Verstehen kann man es. Und: Zu diesem Termin schmeißt Siggi Dämkes auch seine Dampfmaschine mal wieder an. Ob es bis dahin wohl eine Klingel gibt ..? Wohl nicht. Muss es ja auch nicht. Die Gartenpforte ins Paradies steht ja offen.