Analyse Kempen: Wohin führen die Amazon-Wege?

Kempen/Tönisvorst/Willich · Auf Grund der Ansiedlung des Online-Riesen in Kempen herrscht weiterhin Sorge wegen des Verkehrs – auch in Nachbarstädten wie Tönisvorst.

Wegen der Amazon-Ansiedlung werden an der Kreuzung Kerkener Straße/B 509 Umbaumaßnahmen nötig, so der Landesbetrieb Straßen.NRW.

Foto: Lübke, Kurt (kul)

Irgendwo muss das Zeug ja herkommen. Dieser saloppe Satz mag einem in den Sinn kommen, wenn man an die Massen denkt, die bei Internethändlern wie Amazon und Co. bestellt werden und dann auf die Reise gehen. Um die im Rheinland noch besser bedienen zu können, will Amazon in Kürze ein Verteilzentrum in Kempen am Industriering Ost 93 eröffnen. Auf dem ehemaligen Naafi-Gelände steht bereits ein 22 500 Quadratmeter großes neues Logistikzentrum. Im Umfeld realisiert der Investor Garbe aus Hamburg noch einen Parkplatz für seinen Mieter Amazon.

Die geplante Ansiedlung mit zunächst 150 und später 300 Mitarbeitern ist indes für einige alles andere als ein Grund zur Freude. Vor allem mit Blick auf die Verkehrsbelastung sind einige Kempener in Sorge. Aber auch in Nachbarkommunen wie zum Beispiel Tönisvorst herrscht Unruhe. Eine Analyse zum Stand der Dinge.

MIT-Vorsitzender bringt Sorge
der Unternehmer zum Ausdruck

Für die Unternehmer im Umfeld des Amazon-Geländes, aber auch für andere Firmen in der Region, sieht Maik Giesen, Vorsitzender der CDU-Mittelstandsvereinigung MIT weiterhin Probleme. Diese Sorgen habe Amazon den Teilnehmern einer Versammlung vor einigen Wochen nicht nehmen können, so Giesen. „Die Unternehmen im Kempener Gewerbegebiet sehen weiterhin große verkehrliche Probleme. Von der Kempener Verwaltung wird versucht, diese zu zerstreuen“, so Giesen. Ebenso warnt der MIT-Chef und Tönisvorster Ratsherr vor einer zusätzlichen Belastung weiterer Straßen in Kempen, die gar nicht Bestandteil eines Gutachtens gewesen seien.

Diese Gefahr sieht Giesen auch für Bereiche in Tönisvorst und Willich. Denn bei der Warenlieferung mit Transport-Vans will Amazon nach eigenen Angaben auch den Bereich der Düsseldorfer Straße in Tönisvorst in Richtung Autobahn 44 (Willich-Münchheide). Straßen, die ohnehin bereits überlastet sind. Für die Autobahnauffahrt ist bekanntlich eine millionenschwere Maßnahme zur Verbreiterung beschlossen, die aber erst in einigen Jahren umgesetzt werden kann. Zu den Sorgen in Tönisvorst hat die FDP-Fraktion eine Anfrage gestellt, die der Fachbereichsleiter Jörg Friedenberg am heutigen Mittwoch im Tönisvorster Bau-, Energie-, Verkehrs- und Umweltausschuss beantworten will.

Wirklich ausufernd dürften die Antworten aber nicht werden. Denn laut Friedenberg hat die Stadt Tönisvorst keine Aktien im Thema Amazon. „Wir haben uns mit den Kollegen bei der Stadt Kempen ausgetauscht“, so Friedenberg auf WZ-Anfrage. Aus Kempen gab es die Information, dass für das Umland nicht mit hohen Belastungen gerechnet werde. Dies habe der Austausch zwischen Stadt Kempen und Landesbetrieb Straßen.NRW ergeben. Allerdings fügt Friedenberg eine weitere Information aus Kempen hinzu. Nämlich die, dass zum Beispiel die Düsseldorfer Straße gar kein Bestandteil des Straßen.NRW-Gutachtens war. Dies sei aufgrund der zu erwartenden Verkehrsströme nicht notwendig gewesen. „Wir werden die Situation und Entwicklung genauestens beobachten“, so Jörg Friedenberg. Mehr könne die Tönisvorster Verwaltung aber nicht tun.

An zwei B 509-Kreuzungen
sind Maßnahmen notwendig

Im schon erwähnten Verkehrsgutachten hat der Landesbetrieb zwei mögliche Problem-Punkte erkannt – und zwar im direkten Umfeld des Industrierings in Kempen. Zum einen müsse die Ampel-Kreuzung Industriering Ost/B 509 mit einer neuen Signalschaltung versehen werden. Zum anderen droht der Kreuzung Kerkener Straße/B 509, die vor allem in Richtung Autobahn 40 (Kerken) ein wichtiges Thema ist, eine größere Baumaßnahme. Dort empfiehlt der Landesbetrieb die Verlängerung der Rechtsabbieger-Spur in Richtung Kerken.

Diese Problemstellen bedeuten für Amazon zunächst einen eingeschränkten Betrieb. Das Unternehmen will nach eigenen Angaben Anfang 2020 mit 200 Fahrzeugen auf die Straße gehen. Langfristig – wenn die oben beschriebenen Bedingungen auf der B 509 erfüllt sind – sollen  es dann durchschnittlich 400 Fahrzeuge pro Tag sein. Wobei in Spitzenzeiten – zum Beispiel in der Weihnachtszeit – 600 bis 700 Fahrzeuge von Kempen aus zu den Kunden rollen werden.

In dem Verteilzentrum wird Amazon während der Nacht per Lkw die Pakete erhalten, die dort „feinsortiert“ werden, wie es der zukünftige Standortleiter, Stephan Brings, beim Infoabend beschrieb. Die 22 500 Quadratmeter große Halle ist zweigeteilt. Auf der einen Seite wird sortiert, auf der anderen Seite fahren die Fahrzeuge zum Beladen an. „Wir gehen nicht in einem Schlag auf die Straße, sondern in Wellen“, so Brings. Mit Beginn der reduzierten Fahrzeugmenge werden so 72 Fahrzeuge in drei 24er Gruppen auf die Straße gelassen. Bei diesen Fahrzeugen handele es sich um sogenannte Transport-Vans. Amazon benutze eine eigene Routenplanung, an die sich die Fahrer genau halten müssten, so der Standortleiter.

Landesbetrieb kann die
Bedenken keineswegs teilen

Im Zusammenhang mit den Sorgen aus Bürger- und Unternehmerschaft teilt der Landesbetrieb Straßen.NRW auf WZ-Anfrage mit, dass man die Situation genauestens im Blick habe. Die als Lösung erkannten Maßnahmen für die beiden Kreuzungen seien bereits in Planung. Und zwar beim sogenannten Vorhabenträger, bei dem es sich um das Unternehmen Amazon selbst handelt. Daher sei Amazon auch für die Maßnahmen kostenpflichtig. Getreu dem Motto: Wer die Musik bestellt, bezahlt sie auch. Konkrete Zahlen zu Kosten und Zeitabläufen gibt es aber noch nicht, so der Landesbetrieb.

Mit Blick auf das nun vorgesehene Start-Konzept des Konzerns sieht die Landesbehörde keine Bedenken. „Amazon möchte mit einer geringeren Kapazität beginnen, hierfür gibt es einen Bauantrag bei der Stadt Kempen, aus unserer Sicht bestehen keine Bedenken“, so der Landesbetrieb. In dem Bauantrag sei das Vorgehen, an das sich Amazon halten müsse, geregelt.

Nach einer Analyse der Verkehrsbeziehungen zu umliegenden Städten und Gemeinden hat der Landesbetrieb ebenso keine Bedenken. „Bei der Verkehrsentwicklung im Bereich der weiteren Wegebeziehungen wird sich die Verkehrsentwicklung auf verschiedene Straßen verteilen – zum Beispiel: Hülser Straße, Krefelder Weg, St. Töniser Straße, Vorster Straße“, so der Landesbetrieb. Diese Verteilung bedeute, dass keine der Straßen über die Maßen belastet werde. „Das Konzept von Amazon beinhaltet auch die verkehrsreichen Spitzenstunden zu meiden und nutzt die späteren Vormittagsstunden und Abendstunden“, so der Landesbetrieb. Auch diese Vereinbarungen seien Bestandteil des Bauantrags, den Amazon mit der Stadt Kempen abgestimmt habe.

Im Kempener Rathaus betrachtet man die Lage rund um das Thema Amazon entspannt. „Die Ansiedlung von Amazon ist aus unserer Sicht verträglich“, sagte der Technische Beigeordnete Torsten Schröder in der vergangenen Woche im Ausschuss für Umwelt, Planung und Klimaschutz (UPK). Amazon habe angekündigt, zunächst mit 200 Fahrzeugbewegungen pro Tag zu arbeiten. Zudem sollen diese azyklisch zum Berufsverkehr starten, so Schröder. Außerdem handele es sich überwiegend um Transporter, „die übrigens zum großen Teil elektrisch betrieben sein sollen“, betonte Schröder. Ein immenser Anstieg an Lkw-Verkehr sei nicht vorgesehen. „Von daher wird uns Amazon nicht zum Zusammenbrechen bringen.“

Eine aktuelle WZ-Anfrage – unter anderem zum Austausch mit der Stadt Tönisvorst und zur Höhe der Gewerbesteuerzahlung von Amazon – ließ die Pressestelle im Kempener Rathaus bis Dienstagabend unbeantwortet.

Giesen: An- und Abfahrt von
Mitarbeitern nicht berücksichtigt

Aus Sicht der Behörden sind die Gegebenheiten für die Amazon-Ansiedlung also ausreichend, wenn sich der Konzern an die Absprachen hält. Kritiker wie Maik Giesen bleiben aber weiterhin skeptisch. Vor allem deshalb, weil viele Straßen gar nicht Bestandteil des Gutachtens gewesen seien. Ebenso nicht berücksichtigt worden seien die Verkehrsströme durch die Amazon-Mitarbeiter, ergänzt Giesen. Aus seiner Sicht werden dies auch viele Autos sein. Die Mitarbeiter, die Amazon benötigt, werde das Unternehmen nicht in Kempen oder im näheren Umfeld finden. Und da das ÖPNV-Netz nicht gut sei, „werden die Leute ins Auto steigen, um nach Kempen zu kommen“, so Giesen.

Hinzu komme, dass Amazon sich mit Thema ÖPNV nicht ausreichend befasst habe, mutmaßt Giesen nach der Bürgerversammlung. Dort habe ein Amazon-Vertreter zugesichert, sich mit der Niederrheinischen Verkehrsbetriebe AG (NIAG) in Verbindung zu setzen. Das Unternehmen aus dem Kreis Wesel habe aber mit dem Bereich Kempen herzlich wenig zu tun, so Giesen.