Work and Travel: Lippenlesen in Australien
Trotz Schwerhörigkeit hat Florian Hansing den fünften Kontinent bereist. Dort hat er viel erlebt, Selbstbewusstsein getankt und sogar den Tauchschein gemacht.
Oedt. „Orangenpflücken“, sagt Florian Hansing. „Das war auf jeden Fall mein anstrengendster Job — und schlecht bezahlt.“ Umgerechnet knapp 17 Euro für eine halbe Tonne verdienen die Farmhelfer im australischen Outback. „Die Bäume sind hoch und haben jede Menge Dornen“, erzählt er. 50 Grad hin oder her, „auf lange Kleidung und Handschuhe will keiner verzichten“. Sein Rekord im Orangenpflücken zusammen mit einem anderen Helfer liegt bei fünf Kisten innerhalb von zehn Stunden. Wer reisen will, muss arbeiten. So einfach ist das.
Einmal Downunder und zurück. Viele erfüllen sich den Traum von endlosen Weiten, vom großen Unbekannten und der lässigen Lebensart der Australier nach dem Abitur oder dem Studium. Ein Jahr „Work and Travel“: Das heißt von Ort zu Ort ziehen, verschiedenste Jobs erledigen, um Geld zu verdienen und dann reisen, einfach etwas von der Welt sehen. Auch Florian Hansing hat „es einfach gemacht“ und dabei jede Menge Selbstbewusstsein getankt.
Australien, die Philippinen, Singapur und Neuseeland — für den 20-jährigen Abiturienten aus Oedt hieß das nicht nur Nervenkitzel und die Angst, es nicht zu packen. Er ist schwerhörig. Das birgt einige Schikanen. „Wenn ich die Hörgeräte rausnehme, kann ich mich nur noch schlecht unterhalten, hohe Töne höre ich gar nicht“, sagt er. „Ich kann aber auch ganz gut von den Lippen ablesen.“
Abseits des vertrauten Umfelds, alleine als Fremder am anderen Ende der Erde und vor allem in einer anderen Sprache fiel es dem 20-Jährigen anfangs sehr schwer, auf Menschen zuzugehen, nach dem Weg zu fragen oder ob sich an der Flugzeit etwas verändert hat. „Durchsagen zum Beispiel am Flughafen höre ich gar nicht“, erklärt er. „Und manche Leute sprechen einfach zu leise.“
Das bewährte von den Lippen ablesen war Downunder anfangs fast unmöglich, denn „das Mundbild ist im Englischen ganz anders“. Und Telefonieren geht nur mit Lautsprecherfunktion, andernfalls sei die Rückkoplung im Hörgerät zu stark. „Da muss man sich einfach durchbeißen“, sagt der 20-Jährige. „Mit der Australien-Reise wollte ich mein Englisch verbessern und mir selbst zeigen, wozu ich in der Lage bin.“
Gleich zu Beginn musste er allerdings einen Rückschlag wegstecken. Zum Handicap Schwerhörigkeit zählen nämlich auch die Reaktionen der Mitmenschen darauf. Eine seiner ersten Stationen war Mildura. „Das ist ein kleines Städtchen 500 Kilometer nördlich von Melbourne — und drumherum nichts“, sagt Florian Hansing. „Der Hostel-Betreiber mochte mich nicht. Er wusste, ich bin schwerhörig, hat es aber nicht eingesehen, etwas lauter zu sprechen und mir nur schlechte Jobs vermittelt.“ Es sei schon schwierig gewesen, das runter zu schlucken, „aber man darf sich einfach nicht kleinreden lassen“.
Und das hat er nicht. Kurze Zeit später lief es rund — mit den Jobs, mit den Reisen und mit der Sprache. „Im vierten Monat habe ich sogar englisch gedacht“, sagt er. Und Hemmungen, Fremde anzusprechen hat er auch nicht mehr. Sogar englisch Lippenlesen geht mittlerweile „ganz gut“. Florian Hansing hat außerdem am Great Barrier Reef seinen Tauchschein gemacht — und das musste ohne Hörgerät gehen. „Man muss es eben einfach machen.“,