Spannende Geschichte der Stadt und ihrer Stadtteile So war es im mittelalterlichen Viersen und davor
Viersen · Die Viersener sind geschichtsinteressiert. Das zeigte sich beim Vortrag „Wie alles anfing“. Arie Nabrings referierte für den Verein für Heimatpflege Viersen vor vollem Haus.
Der Vortragsraum im Viersener Kreisarchiv ist bis auf den letzten Platz besetzt. Doch immer mehr Bürger strömen in Richtung des Raumes, wo Arie Nabrings, Referent des Abends, und Beatrix Wolters, Vorsitzende vom Verein für Heimatpflege Viersen, gerade die einzelne Tischreihe vor der digitalen Projektionsfläche wegschieben, um noch Platz für eine weitere Reihe Stühle zu schaffen. Aber auch das reicht nicht. Die Besucher stehen auf dem Flur. Alles, was an Stühlen verfügbar ist, wird herangetragen und doch finden nicht alle eine Sitzgelegenheit. „Mit einer solchen Besucherzahl haben wir nicht gerechnet. Es ist phantastisch, dass sich so viele für das Thema interessieren“, begrüßt Wolters, die über 100 Besucher zu einem ganz besonderen Vortrag, der in Kooperation des Heimatvereins zusammen mit dem Viersener Kreisarchiv angeboten wird.
Nabrings referiert unter dem Titel „Wie alles anfing“ über die mittelalterlichen Wurzeln von Viersen. „Als ich vor rund 40 Jahren im Stadtarchiv begann und zu einem ähnlichen Thema referierte, kamen gerade einmal 15 Besucher. Es freut mich, dass ich heute Abend auf so viele Interessierte treffe. Ich möchte heute ein Verständnis dafür schaffen, wie sich die Gemeinden entwickelt haben“, startet Nabrings.
Los geht es mit einem Foto, das den typischen Niederrhein zeigt. „Vom Mittelalter habe ich irgendwie kein Foto gefunden“, scherzt Nabrings, was ein herzliches Lachen auslöst. Doch das Foto zeigt, wie es einst, aufgrund von Grabungen ausgehend, ausgesehen haben könnte. Eine offene Landschaft mit Baumbewuchs und Wasserläufen ist zu sehen. Wobei das Wasser für die Besiedlung ganz entscheidend gewesen sei, wie Nabrings betont. Anhand einer weiteren Karte verdeutlicht er die ersten Funde der Region. Es sind Spuren, die aus der Altsteinzeit stammen. „In der Altsteinzeit von 600.000 bis 9560 vor Christus haben wir nur wenige Fundplätze. In Dülken gab es zu dieser Zeit gar keine Funde, was die Viersener freuen wird. Aber sie sollen sich nicht zu früh freuen“, bringt Nabrings Lokalkolorit ins Spiel, was bei den Besuchern für ein breites Grinsen sorgt.
Nabrings spricht von Jägern und Sammlern, die durch das Gelände streiften, Wild erlegten und Beeren sammelten. In der Jungsteinzeit, 5300 bis 2150 vor Christus, verändert sich das Bild. Die Fundplätze werden deutlich mehr, wie die nächste Karte zeigt. „Interessant wird es dann für uns in der römischen Zeit Mitte des ersten Jahrhunderts bis ins vierte/fünfte Jahrhundert nach Christus“, kündet Nabrings an. Er spricht die Ausgrabungen in Ninive an, die eindeutig belegen, dass sich dort einst eine Villa Rustica befunden hat.
Nabrings berichtet von dem Siedlungsabbruch, der nach der Römerzeit einsetzte und der späteren Einwanderung fremder Stämme, der sogenannten zweiten Siedlungswelle. Spannend wird es bei den Namensgebungen von Viersen und seiner Stadtteile. Die Zuhörer erfahren, dass sich der Ortsname Viersen aus zwei Bestandteilen zusammensetzt. Der Stamm Vers oder Virs ist ein weitverbreitetes Wort für Wasserläufe. Die Endung ne oder ni bezieht sich hingegen auf eine Gewässerbezeichnung. Als Bedeutung bliebe somit die Siedlung an der Verse oder Viers, sagt Nabrings. Wobei die Ersterwähnung Viersens auf das Jahr 1100 datiert ist. Etwas später, nämlich 1116, wird Süchteln erwähnt. Dülken taucht 1190 bis 1210 auf während Boisheim erst Mitte des 13. Jahrhunderts zum Vorschein tritt.
Der Ortsname Süchteln besteht indes aus der Kombination suft, was im mittelhochdeutsch dem sluften entspricht und damit die Bedeutung „wiederholt oder lebhaft schlürfen“ trägt. Die Endung ila tritt hingegen bei Bachnamen auf. „Dem Ortsnamen liegt damit wahrscheinlich der Bachname suft-ila zugrunde, der auf das Geräusch des fließenden Wassers anspielt“, sagt Nabrings. Im Ortsnamen Dülken steckt der Stamm Dul mit der Verkleinerungsform ken. Das Dul bezieht sich auf die Bedeutung Vertiefung, Tal beziehungsweise Senke. Damit bedeutet Dülken Tälchen. Bei Boisheim schälen sich zwei Bestandsteile heraus. Es sind das Buys und das heim. „Die Endung heim kommt von Haus oder Wohnung und ist in der Regel mit einem Personennamen verbunden“, sagt Nabrings. Vor dem Hintergrund das Buys eine Kurzform des Rufnamens Burghard ist, biete sich die Deutung des Ortsnamens Boisheim als Haus oder Wohnung des Burghard an, fügt der Referent an.
Nabrings geht auf die Patrozinien Remigius, Clemens, Petrus sowie Cornelius und Udalricus ein. Er berichtet von der Grundherrschaft. Die überwiegende Mehrheit der bäuerlichen Bevölkerung im Mittelalter befand sich in Abhängigkeit von einem Grundherrn, der meist zugleich Gerichtsherr war. Mithilfe von Karten verdeutlicht Nabrings die kirchliche Organisation um 1450. Er zeigt Herrschaftsbezirke auf, wobei die Grafen von Kessel ein erstes bekanntes Herrschergeschlecht waren. Deren Einzugsgebiet und die Stammtafel sind ein Beispiel für die damalige Zeit. Das Vogteirecht, die territoriale Entwicklung des Herzogtums Jülich, der Herrschafts- und Einflussbereich der Grafen von Geldern – Nabrings nimmt die aufmerksam zuhörenden Besucher mit auf eine spannende Reise, die bestens ankommt.