Prozess um Ehedrama geplatzt

Der 51-jährige Viersener, der seine Frau erschossen haben soll, ist zunächst auf freiem Fuß.

Mönchengladbach/Viersen. Seinen 51. Geburtstags kann der wegen Totschlags in minder schwerem Fall angeklagte Viersener am Samstag auf freiem Fuß verbringen. Darüber hinaus wird er in Freiheit Weihnachten und vielleicht sogar Karneval feiern können. Das alles allerdings mit dem Wissen, dass ihm eine wahrscheinlich mehrjährige Haft nicht erspart bleiben wird.

Eigentlich hätte am Freitag bereits nach zwei Verhandlungstagen das Urteil gegen den Mann gesprochen werden sollen, der am Hochzeitstag während eines Ehestreits auf seine Frau geschossen haben soll und sie tödlich verletzte. Doch der Prozess ist geplatzt.

Grund ist eine am Donnerstag von der Staatsanwaltschaft vorgelegte Erkenntnis, nach der der Computer in der Wohnung des Ehepaares kurz vor dem Notruf hochgefahren und eine so genannte Skype-Verbindung aufgebaut wurde, mit der der Nutzer telefonieren und chatten kann. Nachdem der Angeklagte ausgesagt hat, er habe mit dieser Verbindung nie etwas zu tun gehabt, stellt sich nun die Frage, ob die Frau möglicherweise vor dem PC gesessen hat, oder aber ob der Angeklagte falsche Angaben machte.

Gleich zu der Verhandlung am Freitag hatte die Nebenklage gefordert, entsprechende Untersuchungen auf den Weg zu bringen. Die Vorsitzende Richterin Anke van den Bosch nahm Kontakt zur Polizei auf, um herauszufinden, ob es anhand des sichergestellten Materials überhaupt möglich ist, entsprechende Erkenntnisse zu erlangen. Nach anderthalbstündiger Pause stand fest: Es ist möglich, braucht aber seine Zeit. Und so verkündete die Richterin gegen 13 Uhr: "Das Verfahren wird ausgesetzt, der Haftbefehl wird außer Vollzug gesetzt."

Ausgerechnet Staatsanwalt Stefan Lingens, der am Tag zuvor die Computer-Erkenntnisse vorgelegt hatte, hätte gerne auf die Beweismittel verzichtet. Zudem sprach er sich dafür aus, die Haft nicht auszusetzen. "Es besteht Fluchtgefahr. Sämtliche soziale Bindungen sind beseitigt", sagte er.

Dass sein Mandant sehr wohl noch zahlreiche Kontakte habe, betonte daraufhin Verteidiger Gerhard König. Neben den Geschwistern, der kleinen Tochter und dem Sohn habe er sogar noch mit Arbeitskollegen zu tun. "Die Kollegen haben für ein Geburtstagsgeschenk gesammelt", sagte König und setzte seinen Antrag, die Haft außer Vollzug zu setzen, durch.

Entsprechenden Auflagen muss der Angeklagte nachkommen, sich zum Beispiel zweimal in der Woche bei der Polizei melden.

"Es ist ein Strohhalm. Ob bei diesen Untersuchungen etwas rauskommt, ist fraglich", sagte Michael Breitinger, Anwalt der Nebenklage. Deshalb habe er den Kompromiss geschlossen, dass der Angeklagte zunächst auf freien Fuß kommt. Verteidiger Gerhard König hätte das Urteil gerne schon gehört. "Dass er ins Gefängnis muss, ist sicher", sagte König, der nach dem jetzigen Stand der Dinge davon ausgeht, dass die Höchststrafe von zehn Jahren bei weitem nicht erreicht wird. So soll der Gutachter eine verminderte Schuldfähigkeit attestiert haben - zum einen, weil der Angeklagte unter Alkoholeinfluss gestanden, zum anderen, weil er Panik gehabt haben soll. Außerdem seien die neun Monate Untersuchungshaft anzurechnen.

Bis der Prozess um 13 Uhr platzte, hatte das Gericht vor der langen Pause noch Zeugen verhört - unter anderem Nachbarn und Bekannte des Ehepaares. So sagte eine Freundin des Opfer aus, sie habe den Eindruck gehabt, dass die Verstorbene Angst gehabt hätte, dass ihr das Kind weggenommen werde, wenn sie etwas gegen ihren gewalttätigen Mann unternehme. "Beim Martinsmarkt 2006 hat sie erzählt, dass er sie geschlagen hat. Sie hatte blaue Flecken am Arm und an den Fingern", sagte die 47-Jährige. Sie habe das Opfer ans Frauenzentrum weitervermittelt.

Ein Nachbar-Ehepaar erinnert sich an einen handgreiflichen Streit, der 2006 in der Wohnung nebenan zu hören war. Außerdem sei das Opfer in der Stadt einmal auf sie zugekommen und hätte erzählt, dass ihr Mann ihr in den Bauch getreten hätte. "Sie fing bitterlich an zu weinen", sagte der 40-Jährige.

Einige Male sei das Opfer bei ihr gewesen, weil ihr Mann sie geschlagen hatte, erinnerte sich eine weitere Bekannte des Paares. Einmal habe auch die Ehefrau ihn angegriffen. "Er hatte eine Beule." Seit 2005 war der Kontakt zum Ehepaar abgebrochen. Auf die Frage, warum sich das Opfer nicht von ihrem Mann getrennt hat, antwortete die 51-Jährige: "Sie hat ihn sehr geliebt, deshalb ist sie geblieben."