Viersen: Der Tüv für die Bäume

Bäume werden regelmäßig von Experten untersucht – nach festen Richtlinien.

Viersen. Baum Nummer 56.203 gehört zu den so genannten Bauchschmerz-Bäumen. So nennen die Baumkontrolleure der Städtischen Betriebe Bäume, deren Zustand nicht gerade gut ist, die sie aber nicht unbedingt fällen wollen. 56.203 ist eine Kastanie, die im Süchtelner Lunapark steht, ein mächtiges Exemplar aus dem Jahr 1890.

Udo Röskes schaut in seinen Computer ("Handheld"), der sämtliche Daten der Viersener Bäume verzeichnet. Die "Krankenakte" der Kastanie ist lang: unter anderem nennt der Baumkontrolleur Pilzbefall und Faulstellen. Gefällt wird der Baum dennoch nicht.

Zunächst soll in den kommenden Wochen die Krone zurückgeschnitten werden. Wie lange die Kastanie noch stehen bleiben kann, können die Experten nicht absehen.

Gestern stand das Exemplar stellvertretend für rund 16.000 Bäume, die in regelmäßigen Abständen von zwei Baumkontrolleuren begutachtet werden. Ausgeguckt hatte die Verwaltung den Baum, um beispielhaft zu zeigen, wie die Stadt die Baumpflege und -kontrolle handhabt.

Hintergrund sind wiederholte Vorwürfe der BUND-Vorsitzenden Almut Grytzmann-Meister, die Bäume würden nicht ordnungsgemäß von Fachleuten untersucht. Stattdessen würde die Verwaltung die "Verkehrssicherungspflicht" als bequemes Schild vor sich hertragen und die Öffentlichkeit nicht ordentlich informieren.

"Wir versuchen Bäume, die gefährdet sind, zu retten", sagt Bürgermeister Günter Thönnessen. "Dass die Gesundheit von Menschen ein Gut ist, das über der riskanten Erhaltung eines kranken Baumes steht, ist unstrittig. Diese Verantwortung kann uns auch keiner nehmen."

Neben der Gefahr für den Verkehr müssten Bäume bisweilen wegen Standortproblemen gefällt werden, ergänzt Wolfgang Halberkann, kommissarischer Leiter der Städtischen Betriebe. Einher gingen die Fällungen mit Neupflanzungen.

"Nicht Zufälle, nicht Willkür, sondern feste Abläufe bestimmen die Baumpflege und -kontrollen", sagt Stadtförster Rainer Kammann. Einmal jährlich sichten die beiden Kontrolleure die Bäume nach einer Kontrollrichtlinie. Werden keine Mängel festgestellt, kommt der Baum auf "Wiedervorlage". Gibt es Probleme, wird er eingehender untersucht, eventuell auch von einem externen Gutachter. Kranke Bäume werden zweimal im Jahr gesichtet.

Die Beschaffenheit des Stamms kontrollieren die Mitarbeiter unter anderem mit einem Schonhammer. Bei der Kastanie in Süchteln klingt’s nicht gut. "Bei dem Klang bekommen wir schon Bauchschmerzen", sagt Röskes. Weiteren Aufschluss über den Stamm gibt der Resistograph, eine Art Bohrmaschine, deren Spitze 40 Zentimeter in den Stamm eindringt.

Der Widerstand wird auf einem Wachsstreifen aufgezeichnet. So können Risse und Fäule erkannt werden. Zumindest an einer Seite sieht’s auch hier für die Kastanie nicht gut aus. Lediglich fünf Zentimeter dick ist das gesunde Holz. Sämtliche Befunde und nötige Arbeiten werden schließlich in die Datenbank eingegeben.

"Würde der Baum an einem Straßenrand stehen, müsste er wohl gefällt werden", sagt der Technische Beigeordnete Gerd Zenses, der versichert: "Wir werden versuchen, die Dinge künftig sofort öffentlich zu machen."