Volksbühne Viersen Das neue Stück dreht sich ums Tabu-Thema Suizid

Viersen · Keine leichte Kost, aber ein wichtiges Thema: „Freitot“ konfrontiert mit der Frage nach selbstbestimmtem Sterben. Was die Schauspielerin Anke Bridonneau und der Regisseur Jan Viergutz über das Stück denken.

Anke Bridonneau auf der Bühne bei der Probe zum Theaterstück „Freitot“.

Anke Bridonneau auf der Bühne bei der Probe zum Theaterstück „Freitot“.

Foto: Sigrid Blomen-Radermacher

„Noch zehn Tage bis zur letzten Reise. Es gibt nichts, was mich noch hält.“ Die Amateurschauspielerin Anke Bridonneau steht in einem extrem reduzierten Bühnenbild: schwarzer Teppich, schwarze Wände, drei weiße Stühle, Symbol für die Stationen der Protagonistin: ihr Zuhause, das Krankenhaus, der Rollstuhl. Bridonneau selbst bildet mit ihrem hellen Sommerkleid einen leuchtenden Mittelpunkt in der dunklen Umgebung. Anke Bridonneau ist „Erika Kellermann“, die nach ihrer „letzten Reise“, dem Freitod in der Schweiz, die letzten drei Jahre bis zu diesem Moment rekapituliert.

Seit Februar 2024 beschäftigen sich Bridonneau und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter der Volksbühne Viersen mit dem neuen Stück. Es trägt den Titel „freitot. Monolog über würdevolles Leben und Sterben“ und ist ein Ein-Personen-Stück. 90 Minuten lang schlüpft Anke Bridonneau in die Rolle der Erika Kellermann und erzählt deren Geschichte. Ernst, nachdenklich, traurig und verzweifelt, aber auch glücklich und erleichtert. Geschickt spielt Bridonneau auf der Palette der Emotionen, nimmt die Zuschauer mit auf ihre Reise.

Die Regie führt Jan Viergutz. Vor fünf Jahren, erzählt er, habe er das Stück von Lars Wernecke gelesen. „Ich wusste sofort, das will ich machen.“ Der Text basiert auf einem Tatsachenbericht aus dem Magazin „Stern“. Eine Frau bricht sich bei einem gänzlich unspektakulären Sturz einen Halswirbel und ist querschnittsgelähmt. Sie hat keine Kontrolle mehr über ihren Körper. Nach drei Jahren der Qual, der Schmerzen und der Gewissheit, dass es keinerlei Verbesserung ihres Zustandes mehr geben wird, wählt sie den Freitod in einer Schweizer Klinik. „Eine meiner Leidenschaften in dem Verein ist es, auch ernste Themen anzugehen und die Zuschauer und Zuschauerinnen mit Themen zu konfrontieren, mit denen sie sich weiter beschäftigen können“, sagt Viergutz. Die Mitglieder des Theatervereins seien den Vorschlag sehr offen entgegengekommen. Manche verfolgen die Proben aufmerksam.

Für die Rolle der Erika Kellermann hatte Regisseur Jan Viergutz sofort Anke Bridonneau vor Augen. Die Rolle sei eine Herausforderung in zweierlei Hinsicht, sagt die Schauspielerin. „Da ist der formale Aspekt des Ein-Personen-Stücks, das ist die eine Herausforderung“, sagt sie. Und dann ist da natürlich die inhaltliche Herausforderung. Bridonneau fragte sich: „Wie geht das an meine eigene Substanz?“ Sie habe sich Bedenkzeit erbeten, habe mit ihrer Familie über das Stück gesprochen und schließlich zugestimmt. „Die Auseinandersetzung mit der Rolle ist so intensiv wie sie noch nie vorher war“, sagt sie. „Manchmal wache ich nachts auf und merke, wie ich darüber nachdenke.“

Auch mit dem Tod und der Möglichkeit eines Freitodes in Folge einer unheilbaren Erkrankung hat sie sich bislang nicht auseinandersetzen müssen. Jan Viergutz hat sich schon länger Gedanken darüber gemacht: „Ich unterstütze die Idee eines selbstbestimmten Lebens, was auch das selbstbestimmte Sterben einbezieht.“

Der Arbeitsprozess im Rahmen der Proben sei intensiv, sagen die Schauspielerin und der Regisseur. „Wir haben uns jeden Satz vorgenommen, haben uns gefragt, wer wird angesprochen, welche Emotionen gehören in den Satz.“ Mal ganz abgesehen davon, dass Text für 90 Minuten auswendig gelernt werden müssen – aber das scheint für Anke Bridonneau kein Problem zu sein. Erika Kellermann erzählt ihr Leben vom Moment des Sturzes an, wendet sich an Ärzte, Pfleger, die Familie. Eindringlich schildert sie ihre Qualen, eindringlich schildert sie den Moment des Sterbens, der für sie eine Erlösung ist. Sie achte alle, sagt die Protagonistin an einer Stelle, die das aushalten können. „Aber ich kann das nicht. Ich freue mich auf die Schweiz. Ich kann es kaum erwarten.“ Denn: „War da noch etwas, was man Leben nennen konnte? Nein.“

Keine leichte Kost bietet das Stück „freitot“ – aber eine wichtige. Das Stück wird ohne Pause gespielt, vorher und vor allem nachher bieten die Schauspieler und Schauspielerinnen aus dem Volksbühnen-Team den Gästen an, miteinander über das Theater ins Gespräch zu kommen.