„Alle Schulkinder auf Position“
Theaterprojekt ist ein kultureller Höhepunkt im Jubiläumsjahr des Michael-Ende- Gymnasiums.
St. Tönis. Picknickpause am Workshop-Sonntag: Felix Eßer sitzt im Forum Corneliusfeld einträchtig neben seiner Schulkameradin Anna-Maria Seeburg, mit der er gut befreundet ist. Im wirklichen Leben. In seiner Rolle, in die der 13-Jährige für ein besonderes Theaterprojekt seiner Schule geschlüpft ist, lacht und plaudert er nicht nett mit der Siebtklässlerin. Da ist Felix ein Fiesling, ein unangenehmer Aufseher in einer Textilfabrik. „Ich schreie die Näherinnen an, laut, aggressiv und schüchtere sie ein.“
Anna-Maria (13) bekommt als Arbeiterin seine Wut ab, nachdem sie sich wegen einer falschen Lohnabrechnung und unzumutbarer Bedingungen für die Näherinnen bei ihm beklagt hat. Felix: „Die Rolle ist menschenverachtend.“ Ein Stock gehört zu seinen Requisiten. Damit gibt er den Arbeitstakt an und den Näherinnen Schläge.
Felix und Anna-Maria sind zwei von 60 Schülern, die sich einem dreitägigen Theaterworkshop angeschlossen haben. Der ist ganz außergewöhnlich angelegt. Es gibt eine Stückidee, entstanden in der Bangladesch-Gruppe der Lehrer, einen roten Faden, aber keine vorgefertigten Texte, es gibt Ideen, Schauspieler, aber kaum festgelegte Rollen.
Die Aufführung „Verwobene Pfade — Wo steckt Rhani?“ ist ein kultureller Höhepunkt im Jubiläumsjahr des Michael-Ende-Gymnasiums (MEG). Seit 15 Jahren unterstützt die Schulgemeinde Menschen in Bangladesch mit Aktionen wie dem jährlichen Sponsorenlauf und Aktionen wie „Ein Leben lang genug Reis“. Dabei arbeiten die Tönisvorster eng mit der Organisation „Netz“ als Partner zusammen. Julia Krüger, Lehrerin für Deutsch und Pädagogik, gehört zu der Gruppe der 14 Lehrer, die mit den 60 Jungen und Mädchen aus den Stufen 5 bis zum Abiturjahrgang die Idee in drei Tagen zur Aufführungsreife bringen: „Wir verknüpfen in dem Stück Themen, die Bangladesch betreffen.“
Frühverheiratung von Mädchen, katastrophale Arbeitsbedingungen, Armut, Wasserverschmutzung, gesellschaftliche Zwänge, Hilfe durch Projekte, die Haltung von Menschenrechtsaktivisten und die Reaktionen in der Bevölkerung. Bangladesch-Themen, die Gesa Schumacher, 17, aus der Stufe Q 2, und Annika Daniels, 17, Q 1, ihre komplette Schullaufbahn hindurch am MEG begleitet haben. Beide beteiligen sich an dem Workshop, setzen an dem Wochenende fast 20 Stunden ihrer Freizeit ein. Trotz ihrer Theatererfahrung ist dieses Stück ein Abenteuer. Gesa: „Am Anfang habe ich gedacht, wie sollen wir das alles in drei Tagen schaffen? Aber in den einzelnen Gruppen ist viel und gut gearbeitet worden. Die Szenen fügen sich wie Puzzleteile zusammen.“ Die Lehrer, lobt sie, „haben das super organisiert“. Annika: „In diesem Stück kommt es darauf an, wie man die Szenen rüberbringt. Text muss gar nicht so viel gelernt werden.“ Gesa ist überzeugt: „Selbst, wenn die Zuschauer zunächst ins Stück kommen, um ihre Kinder zu erleben, werden sie nachher die Botschaft, die darin steckt, mit nach Hause nehmen.“
Die Picknickpause ist zu Ende. Nun geht es an den Feinschliff. Die Technik ist aufgebaut. Licht und Ton sind eingestellt. „Die Schulkinder auf Position“, ruft eine Lehrerin ins Forum. Die Schauspieler haben bunte Hosen und Tücher an und schlüpfen in ihre Flip Flops. Vom Band kräht ein Hahn. Das eingeblendete Foto eines Lehmgebäudes auf der Bühne versetzt alle Akteure nach Bangladesch. Das Leben rund um die kleine Dorfschule erwacht. Gleich die erste Szene unterstreicht, was Julia Krüger erzählt hat: „Schule in Bangladesh ist bunt, turbulent und sehr laut.“ Wie im wirklichen Leben.