„Geächtet“ „Geächtet“ verlangt dem Publikum viel ab

St. Tönis. · Das Pulitzer-Preis-gekrönte Stück dreht sich um die Verleugnung der eigenen Identität.

Markus Angenvorth, Jillian Anthony, Patrick Khatmai und Natalie O’Hara (v.l.n.r.) in „Geächtet“, einer Inszenierung von Karin Boyd für das Tournee-Theater Thespiskarren Hannover, das jetzt damit in St. Tönis zu Gast war.

Markus Angenvorth, Jillian Anthony, Patrick Khatmai und Natalie O’Hara (v.l.n.r.) in „Geächtet“, einer Inszenierung von Karin Boyd für das Tournee-Theater Thespiskarren Hannover, das jetzt damit in St. Tönis zu Gast war.

Foto: Sabine Haymann

Dieses Stück zwingt die Zuschauer zur Auseinandersetzung mit der eigenen Identität und den eigenen Vorurteilen. Es hinterfragt Toleranz gegenüber Religionen, von denen man nicht wirklich viel weiß und zeigt, wie schwer es ist, seine Wurzeln zu kappen. „Geächtet“ lautet der Titel der deutschen Fassung von „Disgraced“, einem Stück, das 2012 in Chicago uraufgeführt wurde und für das sein Autor Ayad Akhtar den Pulitzer-Preis bekommen hat.

Dass der Stadtkulturbund seinem Publikum das Stück „zumutet“, verdient Respekt. Komödien mit Tiefgang, Kabarett und Musik haben in den vergangenen Jahren das Programm im Corneliusforum bestimmt. Schön, dass der Verein sich traut, einen anderen Weg einzuschlagen, auch wenn das bedeutet, dass das Forum nicht ausverkauft ist und manche Zuschauer nach der Pause nicht wieder in den Saal kommen.

Der Wirtschaftsanwalt Amir schlägt sich in der Kanzlei durch

Die, die sich einlassen, werden mit großer Schauspielkunst belohnt, denn das Stück verlangt auch den Darstellern des Tournee-Theaters Thespiskarren einiges ab. So auch Patrick Khatami. Der 41-Jährige spielt Amir, einen hippen New Yorker, der den „amerikanischen Traum“ lebt: Das Kind pakistanischer Einwanderer hat es geschafft. Als Wirtschaftsanwalt steht Amir kurz davor, Partner in der Kanzlei zu werden, trägt 600 Dollar teure Hemden und lebt mit einer hübschen, weißen Amerikanerin (dargestellt von Natalie O-Hara) in einem chicen Loft.

Der Preis, den Amir dafür gezahlt hat, ist hoch. Nicht nur, dass er jahrelang als erster in der Kanzlei war und als letzter gegangen ist, er hat auch seinen Nachnamen geändert, seine Religion abgelegt und seine Wurzeln verleugnet. „Wenn du aus dem Haus gehst, musst du begreifen, dass die Welt da draußen nicht neutral ist“, sagt er zu seinem Neffen Hussein (Christopher Gollan). Der macht ihm, nachdem er vom FBI verhört worden ist, klar: „Du wirst dich immer gegen deine eigenen Leute wenden. Du glaubst, dann mögen dich diese Leute mehr? Tun sie nicht. Sie denken bloß, dass du dich selber hasst. Und sie haben recht!“

Die Figuren setzen sich kritisch mit dem Islam auseinander

Tatsächlich spart Amir nicht mit heftiger Kritik am Islam. Während seine Frau, eine Malerin, die Ästhetik der islamischen Kunst für sich entdeckt, ist Amir knallhart in seinem Urteil über die Religion seiner Vorfahren: „Der Islam kommt aus der Wüste. Er ist etwas, das man erleiden muss. Der Muslim denkt nicht darüber nach, er unterwirft sich und andere.“

Während der jüdische Galerist Isaac (Markus Angenvorth) meint, alle Religionen hätten ihre Macken und der Islam kein Monopol auf Fundamentalismus, stößt sich seine Frau Jory (Jillian Anthony) an der Verschleierung muslimischer Frauen: „Man löscht ein Gesicht aus und damit Individualität. Nie werden Männer gezwungen, ihre Individualität auszulöschen.“ Reine Ironie vor dem Hintergrund, dass Amir seine Individualität aufgegeben und – wie das Stück zeigt – auch seine Würde verloren hat, um in der weißen, christlichen Welt akzeptiert zu werden. wic