Erster Weltkrieg: Als die Stimmung umschlug

Als die Meldungen von Tod und Verwundungen in St. Tönis eintreffen, macht sich Ernüchterung breit.

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St. Tönis. August 1914 — vor fast genau 100 Jahren — die Fronten des Ersten Weltkrieges formieren sich. Die europäischen Staaten haben sich in einem unübersichtlichen System von Bündnissen und Absprachen verheddert. Die „Mittelmächte“, die Kaiserreiche Österreich-Ungarn und Deutschland, stehen gegen die „Entente“, — Frankreich, Russland, England.

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Schlagzeile aus Extrablättern

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Jetzt also Krieg! Die Zwänge der verkrusteten Gesellschaft, die repressiven Regeln, das Mieder einer verlogenen Moral, das Eingesperrtsein in Spießbürgertum und in die starren gesellschaftlichen Rangordnungen setzen Jubel frei. Auch in St. Tönis. Jubel darüber, dass sich nun endlich etwas ändert. Endlich darf man ein bisschen ausflippen, darf Aggressionen ausleben — gegen den bösen Feind. Schreien für eine gute Sache. Man tut es ja für das Vaterland.

Zwiespältig dann die Eindrücke des ersten Kriegsmonats August. Bald treffen in St. Tönis die Meldungen von Verwundung und Tod mehrerer Mitbürger ein. Bürgermeister Gustav Müller und Pfarrer Lepers machen sich daran, die Hinterbliebenen zu trösten, ihnen mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Aber noch wird die Trauer von täglichen Siegesmeldungen überdeckt.

Der 1. Weltkrieg an der Heimatfront

Mit lauter Stimme ruft Jakob Kiwitz die Schlagzeilen der neuesten Extrablätter aus: „Viktoria! Deutschland siegt an allen Fronten!“ Derweil marschiert das Schülertrommlerkorps unter Lehrer Albert Merkelbach durch die Straßen, feiert mit klingendem Spiel der Truppen Heldenruhm: „Lieb Vaterland, magst ruhig sein!“

Was sich damals in St. Tönis im ersten Siegesrausch abgespielt hat, was dann in der zunehmenden Not des Krieges zum bedrückenden Alltag wurde, was in den Nachkriegsjahren geschah, kann man jetzt im Detail in einer Serie der St. Töniser Heimatbriefe nachlesen. Quelle ist ein umfassender Bericht von 1934 — 20 Jahre nach Kriegsausbruch — von Karl Pescher. Folge 1 erschien in der Juniausgabe (Nr. 171). Da wird beschrieben, wie die Stimmung kippt.

Angesichts der ansteigenden Gefallenenzahlen und vor allem der Lebensmittelknappheit ist nach einem halben Jahr die erste Begeisterung in Niedergeschlagenheit umgeschlagen. Im Februar 1915 werden die ersten Brot- und Lebensmittelkarten eingeführt. Deren Ausgabe nimmt ein Lebensmittelamt vor. Untergebracht ist es zunächst im Hause Markt 4, der späteren Wirtschaft Verstegen. Im Rathaus sitzt die Abgabestelle für Kupfer, Messing und Gummibereifung. Eine Kreiskornstelle im Kempener Landratsamt überwacht scharf, ob die Landwirte ihr Getreide auch restlos abliefern.

Die Verteilung der Lebensmittel erfolgt dann im Saal der Wirtschaft Nötges an der Hochstraße. Um ihre paar Gramm Nahrung zu erhalten, stehen die ersten St. Töniser morgens um fünf an. Aber oft genug kommt es vor, dass einer stundenlang gewartet hat und dann, wenn er endlich dran wäre, zu hören bekommt: „Nichts mehr da! Kommen Sie morgen wieder.“ Da macht sich die Erbitterung in wüsten Beschimpfungen Luft: „Manchmal sah man junge Leute und Mädchen errötend die Reihe verlassen. Die Erregung war schrecklich . . . “ Schließlich wird die Ausgabe in verschiedene Geschäfte verlegt. Dort trägt man sich in eine Liste ein und holt dann später die einem zustehenden Lebensmittel ab. (Fortsetzung folgt)