Tönisvorst Frau Müller hat nicht viel zu lachen
Anders erging es den etwa 550 Zuschauer im Corneliusforum: Sie hatten sichtlich Spaß an „Frau Müller muss weg“.
Tönisvorst. Es wird viel gelacht an diesem Abend im Corneliusforum. Aber eigentlich ist die Kernaussage der rasanten, schauspielerisch großartig umgesetzten Komödie „Frau Müller muss weg“ eine traurige und, wie mehrere Lehrer im Publikum bestätigen, eine allzu wahre: Vor lauter Angst, ihr Kind könne im Leben scheitern, überfordern Eltern ihren Nachwuchs und tun fast alles, damit das Kind irgendwie den höchstmöglichen Schulabschluss erreicht.
Der Vorhang geht auf, und die Zuschauer sitzen im Klassenzimmer einer Grundschule in Dresden. Zwei Mütter, ein Vater und ein Elternpaar haben sich versammelt. Sie wollen erreichen, dass die Lehrerin, Frau Müller, die 4b abgibt. „In drei Wochen ist die Zeugnisausgabe, dann entscheidet sich, auf welche weiterführende Schule unsere Kinder gehen“, sagt die Mutter von Laura. Sie ist Elternsprecherin, arbeitet als Verwaltungsbeamtin in einem Ministerialbüro, und ihr Auftreten zeigt, dass sie sich den anderen Eltern überlegen fühlt. Andrea Lüdke verkörpert die Business-Frau sehr überzeugend.
Weil Laura, ebenso wie einige andere Schüler, in den Noten abgerutscht ist, fürchtet die Mutter, dass das Kind nicht zum Gymnasium gehen kann. Von einer anderen Lehrerin erhofft sie sich bessere Noten für Laura. „Und dann geht sie zur Privatschule. Die werden sie schon irgendwie bis zum Abitur mitziehen.“ Auch Lukas‘ Vater (ebenfalls grandios gespielt von Thomas Martin) sagt: „Wenn Lukas die Qualifikation nicht schafft, landet er auf der Realschule oder — schlimmer noch — auf der Hauptschule. Und da sitzt er dann mit den Skinheads zusammen.“
Die Grundschullehrerin Frau Müller, perfekt besetzt mit der bekannten Fernsehschauspielerin Claudia Rieschel, betont: „Es können nicht alle Kinder gleich gut sein.“ Aber das will keiner hören. Zu groß ist die Angst der Eltern, ihre Kinder könnten „es“ nicht schaffen und später in Hartz IV rutschen. So wie der arbeitslose Vater von Janine (Wolfgang Seidenberg), der alles tut, um seine Tochter rund um die Uhr mit Wissen vollzustopfen und nicht merkt, wie er damit den Wissensdurst des Kindes ertränkt.
Die Auseinandersetzung zwischen den Eltern und der Lehrerin, die zunächst noch nach konstruktiven Lösungen für die Probleme der Kinder sucht, bei den Eltern damit aber auf taube Ohren stößt, entgleitet schließlich: „Ihr Kind ist sozial inkompetent, kann es nicht ertragen, nicht im Mittelpunkt zu stehen, kann sich nicht konzentrieren und nicht zuhören“, sagt sie zu Lukas‘ Mutter (Katrin Filzen), woraufhin diese erwidert: „Lukas ist unterfordert, das ist so bei Hochbegabten.“ „Ihr Sohn ist nicht hochbegabt, er ist ein klarer Fall von ADHS“, platzt es aus der Lehrerin heraus.
Mit Klischees wie diesen spielt die Komödie, die 2010 im Kleinen Haus des Staatsschauspiels Dresden uraufgeführt wurde und 2015 als Kinofilm von Sönke Wortmann Erfolge feierte, in einer Tour.
Und das Schlimme ist: Viele haben schon mal Eltern erlebt, die so oder ähnlich denken und handeln. Und auch Lehrer, die sich wie Frau Müller darüber beschweren, dass Schule dafür verantwortlich gemacht wird, wenn Kinder nicht wie gewünscht „funktionieren“, hat jeder schon mal gehört. „Alles kann die Schule nicht auffangen“, sagt Frau Müller zu den Eltern, „Sie müssen sich schon an die eigene Nase fassen.“