Fakten & Hintergrund Vom Schnäppchen zum Vorzeigeobjekt

Neersen. · Eingebettet in eine Veranstaltungsreihe zum 50. Geburtstag der Stadt Willich führten Stadtarchivar und ehemaliger Stadtdirektor durch das Schloss Neersen.

Schon zum Zeitpunkt ihrer Gründung liebäugelte die Stadt Willich mit dem Schlosspark. Im September 1970 kaufte die Kommune Schloss und Areal.

Foto: Marc Schütz

Stadtarchivar Udo Holzenthal und der frühere Stadtdirektor Dieter Hehnen hielten jetzt in der Motte von Schloss Neersen einen packenden Lichtbildervortrag über das prägende Neersener Gebäude von den Anfängen bis zur Gegenwart. „Hidden Places“ heißt die Reihe, die eingebettet ist in das 50. Jubiläum, das die Stadt Willich in diesem Jahr feiert. Holzenthal und Hehnen verrieten, dass das Kaufangebot des Deutschen Roten Kreuzes an die damals gerade erst gegründete Stadt Willich zwar zu einem ungünstigen Zeitpunkt erfolgte, dass die Restaurierung deutlich teurer wurde als zunächst gedacht – und dass es rückblickend doch ein günstiger Deal war. Nicht zuletzt deshalb, weil der Erwerb von Schloss Neersen mitsamt dem 60 000 Quadratmeter großen Park eine identitätsstiftende Investition für die noch junge Stadt gewesen sei.

„Nicht gesucht – und doch gefunden“: Unter dieser Überschrift erfuhren die Zuhörer jede Menge über das stolze Schloss. Zur Geschichte erklärte Udo Holzenthal: „Es begann mit einem aufgeschütteten Erdhügel und einem Wehrturm. Das jetzige Gebiet von Neersen war ein Sumpfgebiet, an eine landwirtschaftliche Nutzung war nicht zu denken.“ Interessant war die Lage aber wegen der Nähe zu einer Straße, die von Neuss bis nach Venlo führte. Aus dem Ende des 11. beziehungsweise dem Anfang des 12. Jahrhunderts stammte die erste gotische Burg. Drumherum war nicht viel los – mit Ausnahme vom Schwarzen Pfuhl: „Wer wollte, konnte dort gehenkt werden“, sagte Udo Holzenthal.

Die alte Holztreppe beeindruckt heute noch die Besucher. Sie könnte sicher so manche Geschichte erzählen.

Foto: Norbert Prümen

Im zweiten Weltkrieg wurde das Schloss Quartier einer US-Division

Einer der historischen Säle wird heute als Ratssaal genutzt. An den Wänden die Virmondsche Ahnengalerie.

Foto: Norbert Prümen

Mit den Franzosen kam die Säkularisierung. Der Gladbacher Fabrikant Felix Wilhelm Hüsgen machte aus dem Schloss eine Wattefabrik. 1842 wurde es durch eine Explosion und einen Brand stark beschädigt. 60 Jahre lang tat sich nicht viel. Dann fand das Schloss mit dem Krefelder Gustav Klemme einen neuen Eigentümer. Er investierte, baute den Westflügel aber nicht wieder auf. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Schloss zum Hauptquartier einer US-Division. Nach dem Krieg diente das Schloss als Erholungsheim für Kinder, dann nutzte es das Deutsche Rote Kreuz als Weiterbildungszentrum.

Das Schloss beherbergt bis zum heutigen Tage Mobiliar aus längst vergangenen Zeiten.

Foto: Norbert Prümen

1970 wurde die Stadt Willich gegründet. Wenig später informierte der Kreis Viersen, der sein Vorkaufsrecht nicht ausüben wollte, die neue Stadt darüber, dass sich das Rote Kreuz von der Immobilie trennen wollte. „Die Neersener Kommunalpolitiker wollten schon lange den Zugriff auf den Schlosspark“, erklärte Udo Holzenthal. Bürgermeister Hans Lamers habe erkannt, welche Bedeutung das Schloss für die Stadt haben könnte. „Die Neersener Ratsherren bearbeiteten die anderen Ratsmitglieder“, erinnerte sich Dieter Hehnen. Der Beschluss, das Schloss samt Park zu kaufen, wurde am 14. September 1970 gefasst – einstimmig, bei vier Enthaltungen. 590 000 Mark kostete die Immobilie.

Kosten für Westflügel-Sanierung verursachten einen Skandal

Vorübergehend sollten dort einige Ämter des Technischen Dezernats untergebracht werden. 1972 ergab sich Handlungsbedarf: Der nicht wieder aufgebaute Westflügel war einsturzgefährdet. 1,6 Millionen Euro sollte der Aufbau kosten. Am Schluss wurden es 7,7 Millionen. In den Medien war vom „Schloss-Skandal“ die Rede, Baudezernent Heinz-Günther Pfirsching geriet unter Beschuss.

Doch dann gab es eine negative und eine positive Nachricht: Der Architekt Hanns Hoffmann aus Köln war mit der italienischen Leuchtenmarke Luceplan wegen der Rundleuchten im Schloss in Verhandlungen. Auf dem Rückflug von Venedig stürzte die Maschine ab, Hoffmann kam ums Leben. Fast zeitgleich wechselte ein pfiffiger, vielversprechender Stadtinspektor von der Stadt Krefeld zur Stadt Willich. Er führte das Controlling ein und brachte es fertig, im Nachhinein noch zwei Millionen Mark an Zuschüssen locker zu machen. Der Mann hieß Willy Kerbusch – heute Beigeordneter und Kämmerer der Stadt Willich. Dieter Hehnen erklärte, dass das Schloss samt Park aus heutiger Sicht ein Schnäppchen war: „Das Kreishaus in Viersen war, bezogen auf einen Arbeitsplatz, deutlich teurer.“

Den Lichtbildvortrag spickten Hehnen und Holzenthal mit einer Reihe Anekdoten rund ums Schloss. Zum Beispiel der, dass Konzerte im Ratssaal schon oft vom WDR wegen der guten Akustik aufgezeichnet wurden. Weniger gut kamen jedoch damals die üppigen Ledersessel im Ratssaal an, in dem auch der Willicher Stadtrat tagt. Die Sessel waren den Grünen bei deren Einzug in den Stadtrat zu luxuriös: „Sie brachten aus Protest Klappstühle mit“, sagte Udo Holzenthal.

1984 kamen die Schlossfestspiele nach Neersen. Dieter Hehnen erzählte: „Ich verhandelte gerade mit einem Unternehmen, das sich in Willich niederlassen wollte, als es ,Lügner, Betrüger’ durchs Schloss tönte.“ Eine Theaterprobe stieß auf eine Grundstücksverhandlung.

1994 wurde der Anrather Galerist Friedhelm Hüter beauftragt, einen Skulpturenpark zu schaffen. Später bereicherte die Eva-Lorenz-Umweltstation den Park, die Illumina zog Tausende Besucher an. Mittlerweile ist das Trauzimmer im Schloss eine Attraktion für Heiratswillige. 1991 zogen die Gemälde der Virmond’schen Ahnengalerie wieder ins Schloss, Adolf Graf von Nesselrode-Reichenstein überließ sie der Stadt leihweise für 60 Jahre. „Das Schloss Neersen ist ein Glücksfall für die Stadt Willich und ein Glücksfall für uns alle“, resümierte Dieter Hehnen.