Historie: Beginn des braunen Terrors
Hinter einer Fassade der Zustimmung grassierte die pure Existenzangst.
Willich. 30. Januar 1933: Adolf Hitler wird zum Reichskanzler ernannt. Vor allem politisch uninformierte Bürger versprechen sich vom "Führer" die Rettung aus wirtschaftlicher Bedrückung, aus nationaler Demütigung durch den Versailler Vertrag, politischer Zerrissenheit.
Dass die Machtübernahme unter Terror vor sich geht, werten viele als Ausrutscher einer "nationalen Revolution". Reiner Zufall, dass aussagekräftige Quellen aus der NS-Zeit vor allem aus Schiefbahn überliefert sind.
Ein probates Mittel der neuen Machthaber ist die Einschüchterung der Staatsdiener, in erster Linie der Ortsbürgermeister, die fast alle der katholischen Zentrumspartei nahe stehen. Am 28. März 1933 wird der Schiefbahner Bürgermeister Marx von zwei Unbekannten nachts in seiner Wohnung zusammengeschlagen. Bald bittet er um seine Beurlaubung, geht im Juli als Bürgermeister nach Lobberich.
Die Nazis haben Glück: Weltweit verebben die Auswirkungen der 1929 ausgelösten Wirtschaftskrise. Andererseits trägt ihre ideenreiche und skrupellose Wirtschaftspolitik wesentlich zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit bei - zum Teil durch eine gewaltige Aufrüstung und eine hohe Staatsverschuldung. Letzteres bleibt geheim.
Bewundert wird dagegen der Rückgang der Arbeitslosigkeit auch in den Willicher Altgemeinden. Vorbei die Zeiten, da sich abends in Alt-Willich an der Kreuzung Martin-Rieffert-Straße/Brauereistraße jugendliche Arbeitslose trafen, tranken und johlten, was regelmäßig die Polizei zum Gummiknüppel-Einsatz bewog - woraufhin der Platz den Spitznamen "Gummi-Eck" erhielt.
Hinter der Fassade der Zustimmung regiert oft die Angst. 1935 werden die Juden durch die "Nürnberger Rassengesetze" zu Menschen zweiter Klasse erklärt, Wasser auf die Mühlen zahlreicher Rassisten. In der Nacht zum 19. August 1935 wird dem Schiefbahner Heinrich Hügens, einem pensionierten Bahnbeamten, mit roter Farbe auf die Hauswand gepinselt: "Judenknecht, deine Stunde schlägt!"
Der Grund für die Bedrohung: Als Nebenverdienst hat der Rentner bis vor drei Monaten einem jüdischen Viehhändler dessen verkaufte Kühe zu den Bauern gebracht. Wie wenn er noch in einem Rechtsstaat lebte, bittet Hügens um Polizeischutz - den bekommt er nicht, wohl aber Hohn und Verachtung durch linientreue Mitbürger.
Als am 9. November 1938 in Paris ein deutscher Gesandtschaftssekretär den Schüssen eines jungen Juden erliegt, geht am nächsten Morgen auch in Schiefbahn die Synagoge am Tömp in Flammen auf. Später werden Schulkinder an den Ruinen vorbeigeführt: "Das Volk hat gesprochen!" Der jüdische Friedhof am Bertzweg wird geschändet.
Eine der ersten Judendeportationen aus dem Reich findet Anfang November 1941 statt. Auch aus dem Kreis Kempen müssen Juden mitfahren, wie etwa die siebenköpfige Familie Kaufmann aus Schiefbahn. Zielort ist das Ghetto von Litzmannstadt - heute wieder Lodz. Mit einem weiteren Transport wird am 11. Dezember 1941 der größte Teil der Juden aus dem Kreis Kempen in das Ghetto der Stadt Riga gebracht - nur sechs kommen zurück. Aus Schiefbahn werden zwölf deportiert; von ihnen überlebt nur Werner Rübsteck.
Als der Krieg zu Ende geht, erlebt Schiefbahn in der Nacht vom 1. auf den 2. März 1945 eines der heftigsten Panzergefechte am Niederrhein: Etwa 20 deutsche Panzer der Panzerlehrdivision, begleitet von 150 Grenadieren, versuchen den von der 2. US-Panzerdivision eingenommenen Ort zurückzugewinnen. Auf diese Weise soll der Rückzug deutscher Truppenteile, die noch bei Mönchengladbach stehen, über die heutige B 57 Richtung Krefeld zur rettenden Rheinbrücke ermöglicht werden.
Stundenlang toben erbitterte Nahgefechte und Häuserkämpfe. Den deutschen Panzerfäusten und Panzerkanonen fallen 22schwere Tanks und gepanzerte Fahrzeuge zum Opfer. 28 deutsche, mehr als 100 US-Soldaten und mehrere Zivilisten kommen ums Leben. Um drei Uhr morgens ziehen sich die Angreifer zurück. Was heute kaum einer mehr weiß: Für den Fall, dass Schiefbahn sich noch am nächsten Tag in deutscher Hand befunden hätte, war befohlen, den Ort durch einen Bombenteppich dem Erdboden gleichzumachen.