Altweiber-Tradition Jetzt regieren die Narren
Neersen/St. Tönis · In Neersen und St. Tönis mussten sich die beiden Bürgermeister an Altweiber geschlagen geben und ihre Schlüssel übergeben.
10 Grad, windstill und trocken. Das Wetter hat es gut gemeint. Und pünktlich, um 18.11 Uhr, beginnt der Sturm auf Schloss Neersen. Voller Eifer sind die Karnevalisten bei der Sache. Zahlreiche Schaulustige sind zum Schauspiel in den Schlosshof gekommen. Mit vereinten Kräften gelingt es sechs jungen Gardetänzerinnen schließlich im dritten Anlauf, mit dem Prellbock ins Schloss einzudringen: Das Portal öffnete sich, die Schlossherren leisten keinerlei Widerstand. Es scheint sogar so, als sei die Verwaltungsspitze froh, bis Aschermittwoch für nichts mehr die Verantwortung tragen zu müssen.
Die leitenden Beamten haben sich als Spielkarten verkleidet, Bürgermeister Christian Pakusch (CDU) tritt als Spieler auf. Mit rund 30 Mitgliedern ist die Prinzengarde vertreten. Uwe Arndt, Präsident des Festausschusses und Prinzenführer von Prinz Andi I. und Prinzessin Niki I. stellen mit Übernahme der Regentschaft dann knallharte Forderungen: Das Brauchtum müsse stärker unterstützt werden und schulfrei an allen närrischen Tagen sein. Auch sollten die Gas- und Strompreiserhöhungen aufgehoben werden. Es scheint, als habe Pakusch gerne den Schlüssel abgegeben. Mitglieder der Prinzengarde verzieren später sein Büro. Dann wird im Schlosskeller ausgelassen gefeiert.
Das Tönisvorster Karnevalskomitee, die Nachtfalter, die Prinzengarde, die Treuen Husaren, der Jugendkarnevalsverein und die KG Rot-Weiß Vorst – kaum sind sie alle im Festzelt an der Willicher Straße in St. Tönis eingezogen, als auch schon der Startschuss für einen ganz besonderen Kampf fällt. Es ist der Kampf um den Rathausschlüssel. Den will der Tönisvorster Bürgermeister Uwe Leuchtenberg (SPD) nämlich nicht abgeben, auch wenn er eine äußerst schlechte Ausgangssituation sein Eigen nennt.
Zusammen mit der zweiten stellvertretenden Bürgermeisterin, Britta Rohr, ist Leuchtenberg, den großen Schlüssel der Macht energisch umklammernd, schnell mit einem rot-weißen Schal gefesselt. Damit sind die beiden fest in der Hand von Kinderprinzessin Vivian I. „Die beiden sind uns auf dem Weg hierin zugelaufen und wir haben sie einfach mal mitgenommen“, meint Verena Arndt. Dann fragt die Präsidentin des Jugendkarnevalsvereins: „Willst du den Schlüssel doch nicht abgeben?“ Umsonst sei der nicht zu haben, kontert Leuchtenberg. Doch auch mit Gardetanz als Bestechung ist er nicht zur Übergabe zu bewegen. Dafür muss erst ein etwas ungewöhnlicher Wettkampf her: tanzen. Dass Vivian I. dem Bürgermeister darin haushoch überlegen ist, muss er letztlich zerknirscht eingestehen. Für die Macht in der jecken Zeit reicht es nicht. Die hat Vivian I. übernommen.