Kein Fest hinter Gittern
In den Anrather Haftanstalten ist Weihnachten eine schwierige Zeit. Die Selbstmord-Gefahr ist höher als sonst.
Anrath. Weihnachten, das Fest der Familie, ist für viele ein Grund zur Freude. Zumindest für die, die in ihrer heimischen Idylle feiern können.
Für die anderen, die davon abgeschnitten sind, ist das Fest oft ein Grauen, denn es führt ihnen ein scheinbares Versagen vor Augen: Sie haben diese Idylle nicht erreicht oder verloren.
Wenn sie die Freiheit dazu haben, flüchten sie vor den Feiertagen zum Beispiel auf die Kanaren. Wem dazu das Geld fehlt, der amüsiert sich am Heiligen Abend eben in der Kneipe.
Doch was tun die Frauen, die in der JVA Willich II einsitzen, die von ihren Lieben getrennt sind und nicht die Freiheit haben, das Fest selbst zu gestalten? „Im letzten Jahr, dem ersten hier, war es schrecklich“, sagt Heike. Weil sie sich so sehr für ihre Straftat geschämt hat und dafür, dass ihre Eltern nun ein Kind im Gefängnis haben, mied die 30-Jährige den Kontakt.
„Erst in diesem Jahr, in der besinnlichen Vorweihnachtszeit, habe ich es geschafft, ihnen einen Brief zu schreiben“, gesteht sie mit Tränen in den Augen. „Und ich habe vor einigen Tagen Antwort bekommen“, führt sie strahlend ihre Erzählung fort.
Für Silvia ist es das vierte Weihnachten hinter Gittern. „Inzwischen geht es“, sagt die Mutter zweier Kinder, 14 und 19 Jahre alt. „Ich weiß, dass die Beiden gut untergekommen sind und dass es ihnen gut geht.“ Das nähme ein wenig die Last von ihren Schultern.
Frauen hinter Gittern leiden sehr darunter, dass sie die Verantwortung für ihre Familie nicht mehr wahrnehmen können. Deshalb: „Weihnachten ist für uns eine Zeit mit verstärkter Selbstmord-Vorbeugung“, sagt Ulrike Böhm, die Anstaltsleiterin. Die Mitarbeiter seien zu verstärkter Wachsamkeit aufgerufen und achten auf versteckte Hinweise im Verhalten der Häftlinge. „Wobei: Wer sich das wirklich vornimmt, der lässt sich nichts anmerken“, sagt Dieter Paulus, stellvertretender Anstaltsleiter.
Im vergangenen Jahr hatte das Haus zum ersten Mal seit Jahren wieder einen Suizid zu betrauern. „Wobei die Rate insgesamt bei uns eher niedriger ist als im Durchschnitt der Bevölkerung“, sagt Böhm. „Und das, obwohl die Inhaftierten im Vergleich mehr mit Problemen beladen sind: Familiäre Schwierigkeiten, Drogen und wenig Perspektive nach der Entlassung.“
Die Seelsorger hinter den Gefängnismauern sind verstärkt im Einsatz, die Beamten nutzen in dieser Zeit die gesetzlich vorgesehenen Möglichkeiten besonders intensiv. „Das kann bis zum Nachtumschluss reichen“, sagt Böhm. Dann darf die Inhaftierte ausnahmsweise die Nacht in der Zelle einer vertrauten Mitgefangenen verbringen. Ansonsten sind die Türen — wie immer — zu.