Kommunalwahlkampf 2020 Waren die Windräder zu verhindern?

Vorst · Windkraft– Wahlkampfthema oder -Getöse? Eine politische Fragerunde bei den Parteien und Kandidaten in Tönisvorst sowie beim Kreis Viersen.

 Bereits 2012 erläuterte die Firma SL Windenergie Pläne für Windenergie in Vorst. Dann schien das Thema bis 2018 verschwunden. Nun werden zwei Anlagen in der Rottheide errichtet. 

Bereits 2012 erläuterte die Firma SL Windenergie Pläne für Windenergie in Vorst. Dann schien das Thema bis 2018 verschwunden. Nun werden zwei Anlagen in der Rottheide errichtet. 

Foto: Reimann, Friedhelm (rei)

Das erste von zwei Windrädern in der Vorster Rottheide wird zusammengesetzt. Es wächst zusehends. Der Bau pusht den Wahlkampf auf der Zielgeraden. Die SPD Tönisvorst macht am heutigen Mittwoch, 17.30 Uhr, einen Termin vor Ort. Mitglieder wollen am Bauernhof Heinz Stieger „am Sportplatz“ mit Bürgern über die Auswirkungen durch Schattenwurf, Infraschall und die Historie diskutieren.

Die SPD stellt auch die Frage: „Waren die Windräder wirklich nicht zu verhindern?“ Die WZ reicht diese Frage zurück und weiter. Die Redaktion macht den politischen Faktencheck und bittet die zur Wahl antretenden Spitzenkandidaten und Parteien sowie den parteilosen Bürgermeister-Kandidaten Thomas Keymel um Antworten – „kurz und klar“. „Wo hätte es eine Chance gegeben, die Windenergieanlagen an dieser Stelle zu verhindern? Wo sehen Sie Versäumnisse der Politik oder der Stadt Tönisvorst?“ Hier die Antworten in der Reihenfolge des Posteingangs. Angehängt ist die Stellungnahme des Kreises.

Thomas Goßen, Bürgermeister und Bürgermeister-Kandidat der CDU: „Ob große Vorhaben zu verhindern sind, entscheiden in Deutschland am Ende immer die Gerichte. Das Verwaltungsgericht Düsseldorf hat diese Frage für die beiden Windenergieanlagen in Vorst mit einem klaren Nein beantwortet. Es hat auch klar Nein gesagt zu einer Höhenbegrenzung auf 130 Meter, weil eine Planung zur Verhinderung von Anlagen rechtswidrig ist. Das Oberverwaltungsgericht Münster wird in letzter Instanz entscheiden.

Dieser Standort wäre nur zu verhindern gewesen, wenn es für Tönisvorst mehrere neue Vorrangflächen im Regionalplan gegeben hätte. Dann hätte man mit einer Planung vor Ort einen aus mehreren Standorten in Tönisvorst auswählen können, wie z.B. in Niederkrüchten beim gleichen Investor geschehen. Der Regionalplan hat für das im Vergleich kleine Stadtgebiet Tönisvorst aber nur diese eine neue Vorrangfläche an der Grenze des Stadtgebietes als rechtlich möglich ausgewiesen. Bei einer Fläche kann man nicht auswählen und auch die Fläche nicht einfach verschieben lassen. Und eine Planung zur Verhinderung von Windenergieanlagen wird von den Gerichten als rechtswidrig kassiert.

Die Aufnahme dieser Fläche in Vorst in den Regionalplan erfolgte auch gegen den Widerstand der Stadt Tönisvorst. Bereits mit einstimmigen Beschluss des Rates der Stadt im September 2016 wurde die Streichung dieser Fläche verlangt, am Ende erfolglos.

Im Nachhinein wäre es besser gewesen, 2018 als der Regionalplan wirksam wurde, offensiv öffentlich zu machen, dass wenn in Vorst ein Investor antritt, Windräder künftig entstehen können, weil am Ende Bundes- und Landesrecht sich durchsetzen werden und Planungsrecht vor Ort diese Entscheidungen nicht ändern kann.“

Marcus Thienenkamp, Chef der FDP:  „Die Windräder in Vorst hätten bereits im rot-grünen Landtag der vorherigen Wahlperiode verhindert werden können und müssen. Dort wurden die für dieses Bauprojekt relevanten, zu geringen Abstandsbeschlüsse gefasst, die von den Vorster Bürgerinnen und Bürgern nicht mitgetragen werden. Alle nachfolgenden Beschlüsse und Verwaltungshandlungen auf Stadt- und Kreisebene zum Flächennutzungsplan, zu Bebauungsplänen, dem Einvernehmen des Bürgermeisters, das nach geltendem Recht quasi zwangsweise zu erteilen war bzw. vom Kreis überstimmt werden konnte, wären bei einer ausgewogeneren Beschlussfassung im Landtag unnötig gewesen. Insofern ist ausgerechnet der Einsatz der Tönisvorster SPD bei diesem Thema schon verwunderlich, versucht man doch jetzt vor Ort nur die eigenen Beschlüsse auf Landesebene vergessen zu machen. Politik zum Schutz der Umwelt funktioniert nur, wenn die Bürgerinnen und Bürger vor Ort mitgenommen werden. Es kann nicht sein, dass der gut gemeinte und von vielen Bürgern gewollte Klimaschutz durch den Ausbau von regenerative Energien auf Kosten von Mitbürgern erfolgt, die aufgrund von Wertverlusten ihrer Grundstücke oder noch immer unklarer gesundheitlicher Wirkungen (u. a. Infraschall) erhebliche und unverschuldete Beeinträchtigungen ihrer Lebensumstände hinnehmen müssen.“

Daniel Ponten, Vorstandssprecher Gemeinschaft unabhängiger Tönisvorster (GUT): „Wenn man das Verfahren zur Errichtung von Windenergieanlagen nach Bundes- und Landesgesetzen betrachtet, dann waren die Windräder für uns nicht zu verhindern, weil die Kommunen an diesem Punkt keine Entscheidungskompetenz haben. Der Spielraum in juristischen Auseinandersetzungen wird vom Gesetzgeber bewusst äußerst klein gehalten, so ehrlich muss man an dieser Stelle leider sein.

Wir haben uns von Anfang an mit den Standortgegnern an einen Tisch gesetzt, mit diesen diskutiert, aber auch eingeräumt, dass es eine äußerst schwierige Angelegenheit ist, sich juristisch dagegen zu wehren. Die Zustimmung des Bürgermeisters war taktisch nicht hilfreich. Wenn diese schon im ersten Durchgang vom Kreis Viersen ersetzt worden wäre, hätte es vielleicht den geringen Hauch einer Chance gegeben bei einer juristischen Auseinandersetzung, mit der Stadt Tönisvorst als Kläger, eher eine Entscheidung zugunsten der Tönisvorsterinnen und Tönisvorster zu erreichen, als dies jetzt der Fall ist. Wir hätten uns natürlich gewünscht, dass diese Anlagen an einem anderen Ort in Tönisvorst errichtet worden wären, wollen uns aber natürlich nicht generell gegen das Thema stellen, weil die Förderung alternativer, erneuerbarer Energie nötig ist.

Die Bürgerinnen und Bürger und auch die Politik in Tönisvorst hätten eher vom Bürgermeister informiert werden müssen. Es spielt für uns an dieser Stelle keine Rolle, ob dies Auswirkungen auf den späteren Verlauf gehabt hätte, aber wir sehen das einfach als moralische Pflicht an. Der Bürgermeister hätte Partei für seine Bürger ergreifen müssen und dazu gehört auch,  diese zu informieren und möglicherweise in einer Bürgerversammlung zu diesem Thema zu diskutieren. Das hätte zu einem besseren Transport der Botschaft geführt, egal ob diese einem dann gefällt oder nicht. Möglicherweise hätte man bei Errichtung eines Bürger-Windenergieparks zumindest noch einen wirtschaftlichen Nutzen aus diesem Projekt ziehen können, auch wenn der Standort unter Aspekten des Landschaftsschutzes und des Naturschutzes und den Auswirkungen auf die Wohngebiete fragwürdig bleibt.“

Uwe Leuchtenberg (SPD), Bürgermeister-Kandidat von SPD, Grünen und GUT: „Ja, die Windräder im Landschaftsschutzgebiet wären zu verhindern gewesen. An einer anderer Stelle hätte ich sie gerne gesehen. Ich glaube, sie sind noch zu verhindern. Es muss geprüft werden, ob man das Verwaltungsgerichtsurteil akzeptiert. Außerdem ist noch die Kommunalverfassungsklage anhängig und es gibt noch Klagen von Privatpersonen. Der Kreis hat nach meinen Informationen die Kommunen des Kreises, also auch die Stadt Tönisvorst, bereits 2017 darauf hingewiesen, dass die Flächennutzungspläne zu überarbeiten sind, hier hat die Verwaltung keine entsprechenden Vorlagen erarbeitet. In den Ausschussvorlagen vom Juli 2018 wird auf das Erfordernis einer rechtssicheren Bauleitplanung hingewiesen, dies ist nie geschehen. Zum damaligen Zeitpunkt wollte Andreas Hamacher (CDU) sogar gänzlich auf eine Stellungnahme zur Windenergie im Verfahren zum Landesentwicklungsplan verzichten.

Das Einvernehmen der Stadt durch Thomas Goßen hätte nie erteilt werden dürfen. Wenn es durch den Kreis ersetzt worden wäre, hätten wir deutlich höhere Chancen im Klageverfahren gehabt. Hätte der Bürgermeister bereits am 1.8.2018, als der Kreis zur Prüfung der Erteilung des Einvernehmen aufgefordert hat, die Gremien informiert, hätten zeitnah notwendige Anpassungen im Flächennutzungsplan vorgenommen werden können. So sieht es auch das Verwaltungsgericht.

Leider hat das Verwaltungsgericht in Düsseldorf der „Veränderungssperre“ von Rottheide nicht stattgegeben. Der Dringlichkeitsbeschluss der Stadt Tönisvorst wird vom Gericht als formaler Fehler gehandelt. Die Stadt hätte genügend Zeit gehabt, das Thema in einer der Ratssitzungen auf die Tagesordnung zu setzen, so das VG. Die 28. Kammer führt zur Begründung (...) aus, die Veränderungssperre sei bereits aus formellen Gründen unwirksam und zudem materiell rechtswidrig. Die Stadt habe die Veränderungssperre nicht im Wege einer Dringlichkeitsentscheidung beschließen dürfen. Es sei nicht ersichtlich, dass nicht der Rat oder zumindest der Hauptausschuss hätte einberufen werden können.“

Thomas Keymel, parteiloser Bürgermeister-Kandidat: „Als juristischer Laie ist eine rechtliche Bewertung der Sachlage schwierig. Ich gehe davon aus, dass seitens der Stadt alle rechtlichen Mittel genutzt wurden. Allerdings habe ich den Eindruck, dass die berechtigten Interessen der Bürgerinnen und Bürger zu Beginn der Entwicklung nicht mit genug Nachdruck verfolgt wurden. Ebenso hätte ich mir gewünscht, dass dieses Thema früher und intensiver in der Öffentlichkeit aufgetaucht wäre. Noch ein kurzer Gedanke zum generellen Thema „Planungshoheit“: aus meiner Sicht ist es ein weiteres, trauriges Beispiel der Entmündigung unserer Stadt, wenn es um planungsrechtliche Themen geht.“

Jürgen Cox, Vorstandssprecher der Grünen: „Uns ging es nie darum Windräder in Tönisvorst zu verhindern. Wir haben immer den Standort in Frage gestellt und tun dies noch. Windenergieanlagen sind erforderlich, um schnell und günstig CO2-ausreichend neutralen Strom zu erzeugen. Einflüsse auf Vogel- und Fledermauspopulationen sollten, wenn noch alternative Flächen in der Nähe vorhanden sind, allerdings vermieden werden. Roter Milan, Störche und andere Greifvögel sind an dieser Stelle stark gefährdet.

Dass der Regionalplan an dieser Stelle eine Vorrangfläche für Windräder entgegen unseren örtlichen Plänen vorsieht und damit in unsere kommunale Selbstverwaltung eingreift, war uns nicht bewusst. Hier hätte der Bürgermeister die Politik einbeziehen und ausreichend informieren müssen. Auch die örtlichen Naturschützer hätten dann alarmiert sein können und die Fledermaus- und Rotmilanbestände schon früh an den NABU und andere NGOs zu melden. So ist diese offenbar erst nach öffentlichem Bekanntwerden gemacht worden, als der NABU bereits beteiligt worden war.

Rechtlich oder politisch gegen den Regionalplan vorzugehen, hätte auf alle Fälle zeitnah, möglicherweise noch vor seinem Inkrafttreten, geschehen können, wenn die Verwaltung vorausschauend gehandelt hätte. Warum das nicht geschehen ist, wissen wir nicht, gehen aber davon aus, dass diese Frage nach der Wahl beantwortet werden wird.“

Michael Lambertz, Bürgermeister-Kandidat der Unabhängigen Wählergemeinschaft (UWT): „Die Klageverfahren waren die letzten möglichen Versuche, die Windräder zu verhindern. Eine Chance, die Windenergieanlagen  an dieser Stelle zu verhindern, hätte es gegeben, hätten alle bei dem Regionalplan besser aufgepasst. Versäumnisse der Politik oder der Stadt Tönisvorst sehe ich beim Regionalplan, hier gab es einen Widerspruch zu der Fläche und diesem Widerspruch wurde nicht stattgegeben. Es gab keine weiteren Versuche diese Fläche aus dem Plan zu nehmen bzw. gegen eine andere zu tauschen.“

Kreis Viersen: „Der Kreis hat die Unterlagen des antragstellenden Unternehmens zu prüfen. Ist rechtlich alles in Ordnung, müssen wir die Anlagen genehmigen. Da gibt es für den Kreis Viersen keinen Ermessensspielraum. Eigentlich sollen Windräder in speziellen Konzentrationszonen errichtet werden, die die Städte und Gemeinden dafür in ihren Flächennutzungsplänen ausweisen. So hat es auch die Stadt Tönisvorst gemacht. Nun ist es aber so, dass die Flächennutzungspläne der heutigen Rechtsprechung meistens nicht mehr genügen. Die Gerichte beurteilen Flächennutzungspläne nach heutigen Maßstäben. Und sie prüfen, ob die Kommune bei der Veröffentlichung des Flächennutzungsplans damals vielleicht einen Fehler gemacht hat. Kaum ein Flächennutzungsplan hält den strengen Maßstäben der Gerichte stand. Das hat zur Folge, dass die Kommunen die Unternehmen auch nicht dazu zwingen können, ihre Windräder in den Konzentrationszonen zu errichten. Folge: Das Unternehmen kann die Windräder dort aufstellen, wo es möchte.

Der Kreis als Genehmigungsbehörde muss genau hinsehen, ob die Flächennutzungspläne der betroffenen Kommunen nach den Kriterien unseres Oberverwaltungsgerichts tatsächlich haltbar sind. Und das sind sie in der Regel nicht. Bislang wurden im Kreisgebiet weder Windräder verhindert noch zurückgebaut. Aktuell hat das Verwaltungsgericht mit deutlichen Worten dem Eilantrag der Stadt Tönisvorst auf Baustopp abgewiesen. Wenn eine Firma nur zwei Windräder errichtet, wie hier in Tönisvorst, gibt es keine gesetzliche Verpflichtung, die Öffentlichkeit zu beteiligen. Da es dem Gesetz nach ein gebundenes Verfahren ist, kann die Politik nicht einschreiten. Sie kann nicht sagen: Wir möchten an dieser Stelle keine Windräder. Die Entscheidung ist bindend, keine Ermessenssache des Kreises oder der Stadt.“