Wie Extremisten vorgehen Experte sprach in Anrath über Rechtsextremismus

Anrath · Als Teil der Reihe „Grünes Forum“ hatten die Willicher Grünen den Soziologen Thomas Pfeiffer geladen. Er hielt einen Vortrag zur „Erlebniswelt Rechtsextremismus“ und erläuterte, wie rechte Gruppen vorgehen.

Thomas Pfeiffer, promovierter Soziologe aus dem Präventionsteam des Verfassungsschutzes, hielt einen Vortrag, der die Besucher und Besucherinnen im vollen Saal beeindruckte und gleichzeitig erschreckte.

Foto: Norbert Prümen

Besser hätten es die Willicher Grünen terminlich kaum treffen können. Just, da deutschlandweit Zig- oder Hunderttausende gegen Rechts auf die Straße gehen, lud die Partei in der Reihe „Grünes Forum“ zu einem Vortrag des Rechtsextremismus-Experten Thomas Pfeiffer ein. Eigentlich hatte der Experte des Landesamts für Verfassungsschutz bereits im vergangenen Jahr auftreten sollen, der Termin war aber krankheitsbedingt verschoben worden.

Die politische Großwettelage spielt denn auch sicher eine Rolle dabei, dass die Gastronomie der Anrather Josefshalle sprichwörtlich aus allen Nähten platzt. Die Organisatoren hatten angesichts von knapp 60 Anmeldungen sogar darüber nachgedacht, in die Halle selbst auszuweichen. Auch das zeigt: Das Interesse am Thema ist riesig. Das zeigt sich auch während des eigentlich auf eine Stunde angelegten Vortrags. Immer wieder lässt Pfeiffer Fragen und Einwürfe zu, am Ende ergibt sich eine lange und intensive Diskussion, die gegen 21 Uhr, nach rund drei Stunden, aus Zeitgründen beendet wird. Kein einziger Besucher hat bis dahin den Saal verlassen.

Der Verfassungsschützer, der vor allem im Bereich Prävention aktiv ist, erläutert in einem lebhaften, engagierten und souveränen Vortrag, wie Rechte heute gerade – jedoch längst nicht nur – bei Jugendlichen erfolgreich sind. „Noch vor zehn oder 20 Jahren kam Rechtsextremismus oft platt, schroff, aggressiv daher. Es waren martialische Ansprachen, die auf Soldatentum, Männlichkeit und Stärke aufbauten. Heute ist die Ansprache vielfältiger, bunter und weicher geworden“, erzählt er.

Einer der Belege: ein Video einer recht attraktiven jungen Frau, die mit schöner Stimme zu ruhiger Klavierbegleitung ein balladenhaftes Lied singt. Was beinahe intellektuell daher kommt, wird angesichts des Textes erschütternd. Der letzte Satz: Sie schützen die Paragrafen ihres Grundgesetzes und nicht uns Bürger. „Diese Art der Ansprache ist heute durchaus üblich“, sagt Pfeiffer. Gerade dieses Video sorgt für Bestürzung im Publikum. „Wie soll ich hier eingreifen, wenn meine Enkel so etwas hören? Ich müsste ja wirklich auf den Text hören. Das ist über den ganzen Tag ja gar nicht zu leisten“, fasst eine Besucherin die Meinungen gut zusammen.

Gerade auf den Plattformen, die die Jugend vordringlich nutzt, wie TikTok, seien die Rechten fast allein. „Hier herrscht durchaus ein Vakuum der demokratischen Kräfte. Sie überlassen AfD und Co. das Feld“, betont Pfeiffer. Dabei gingen die Extremisten auch durchaus pragmatisch vor. „Sie sind da gar nicht dogmatisch und nutzen, was erfolgversprechend ist. Der Rap zum Beispiel ist eigentlich die Ausdrucksform dunkelhäutiger Menschen in den eher problematischen Gegenden der USA. Davon lassen sich die Rechten aber nicht irritieren und nutzen ihn hemmungslos für ihre Zwecke“, beschreibt er.

Ein weiteres Beispiel: Da Symbole wie Hakenkreuz oder Hitlerbilder verboten sind, ihre Nutzung strafbar ist, würden neue Rechte andere Symbole nutzen. „Das ist zum Beispiel die ‚schwarze Sonne‘, ein Mosaik am Boden des Obergruppenführersaals in der Wevelsburg. Das wird heute als Symbol genutzt, weil es nicht strafbar ist“, erläutert er. Dabei hält er ein T-Shirt hoch. Es trägt das Symbol groß auf der Brust. Erstaunlich: Die ‚schwarze Sonne’ ist weiß. „Auf dem roten Grund wirkt das einfach besser. Auch hier ist wieder der Pragmatismus zu sehen“, sagt er.

Doch wie ist dem im politischen Rahmen oder im privaten Umfeld zu begegnen? Ein Muster hat Pfeiffer nicht zu bieten. „Bei Aussteigern ist es immer die Summe der Widersprüche, die zum Umdenken führt“, sagt er. Das heißt: Auf keinen Fall den Kontakt zu Menschen, die ins Milieu abgleiten, abreißen lassen.

Auch beschrieben Aussteiger ein „bedingungsloses Angenommensein“ in der Szene, das empfunden werde.

Entsprechend sei Zuspruch – gerade auch für persönliche Eigenschaften – ein guter Ansatz. „Gerade eher labile und wenig selbstbewusste Menschen sind gefährdet. Das Deutsch-Sein ist etwas, das unbestreitbar ist. Sie können nicht scheitern. Darum verfängt es“, erläutert er. Der Zuspruch für persönliche, individuelle Eigenschaften, sei ein Ansatz.

Die Diskussion zeigt aber auch: Es herrscht Ratlosigkeit. Der große Wurf drängt sich nicht auf. Umso wichtiger sei es, da sind sich Besucher und Experte einig, aufzustehen und für demokratische Werte, Menschenwürde und nicht zuletzt das Grundgesetz einzustehen. Das könne im Großen, auf der politischen Ebene, bei Demonstrationen oder Veranstaltungen sein, aber auch im Kleinen und Privaten bei Gesprächen und in sozialen Medien.

Es sei aber auch wichtig, betont ein Gast, sich nicht auf die Palme bringen zu lassen, und ruhig und sachlich zu bleiben. „Sogenannte Trolle, also Menschen, die nur provozieren wollen, ergötzen sich daran und ziehen ein Machtgefühl aus dieser Reaktion“, sagt er. Die einfache Frage „warum genau bist Du eigentlich hier?“, könne schon ein Ansatz sein, sagt eine andere Besucherin. Schon das, betont Pfeiffer zustimmend, sei eine Ansprache, die persönlich sei und zum Nachdenken anregen könne.