Stolpersteine: Dem Vergessen in den Weg gelegt

In Vorst sind neue Stolpersteine verlegt worden, die an Opfer der NS-Diktatur erinnern. Auch Schüler beteiligten sich wieder aktiv.

Foto: Kurt Lübke

Vorst. Er hat der Gleichgültigkeit und dem Vergessen schon mehr als 50 000 Steine in den Weg gelegt, kleine, quadratische Pflastersteine mit einer goldschimmernden Oberfläche, die wie eine Krone in einem ansonsten intakten Gebiss wirken: Der Kölner Künstler Gunther Demnig wurde am Samstag in Vorst wieder aktiv. Er verlegte zwölf neue Pflastersteine an sechs unterschiedlichen Stellen.

Im Schnitt waren es rund 50 Menschen, die sich an der Aktion beteiligten oder zuschauten. Das rote Handwerker-Auto war am Samstag kurz vor 9 Uhr an der Dellstraße 17 vorgefahren. Rund 40 Menschen fanden sich trotz des eisigen Spätwinterwetters ein, eine Mikrofonanlage wurde aufgebaut, während Demnig bereits werkelte. Er musste den Pflasterstein zum Gedenken an Johann Bossinger auf der gegenüberliegenden Gehweg-Seite einsetzen, weil der Bürgersteig vor dem Haus des zu Ehrenden zu schmal ist.

Bossinger war kein Jude. Er war den Nazis als Kommunist ein Dorn im Auge, musste deshalb ins Anrather Gefängnis. Christel Tomschak, seine Tochter, war sichtlich gerührt. „Mein Vater war ein Kämpfer für eine bessere, friedliche Welt“, erklärte sie mit fester Stimme. „Ich bin stolz und dankbar, dass er mein Vater war.“

Schüler der Stolperstein-AG des Michael-Ende-Gymnasiums mit ihrem Lehrer David Wirth ließen die Toten zu Wort kommen, musizierten, legten eine Rose neben den Stolpersteinen nieder und auch ein Foto. Peter Joppen, Vorsitzender des Initiativkreises „Stolpersteine für Vorst“ gab zu verstehen: „Wir müssen Menschen aller Generationen aufmerksam machen auf das Schicksal der Opfer.“ Bürgermeister Thomas Goßen lobte die Stolpersteine-Aktion. „Wir machen so begreifbar und begehbar, wen wir verloren haben in der dunkelsten Phase der deutschen Geschichte.“

Vor dem Haus Vossenhütte 16 ging es um Josef Vogel, dem ein Stolperstein gewidmet wurde. Da er schizophren war, wurde er am 5. Juni 1944 in einem Heim ermordet. „Akutes Nierenversagen“, hatte man auf dem Totenschein attestiert.

Leo Willner und seine Familie lebten als Juden an der St. Töniser Straße 6. Er arbeitete als Viehhändler, war Mitglied im Turnverein und bei der Freiwilligen Feuerwehr und war zunächst der Überzeugung, die Judenverfolgung sei ein Spuk, der genauso schnell wieder verschwinde, wie er aufgetaucht sei. Er und seine Familie flohen dann noch rechtzeitig nach Argentinien, lebten in Buenos Aires.

Ebenfalls nach Argentinien floh die Familie Ernst Willner. An sie erinnern jetzt Stolpersteine vor dem Haus Clevenstraße 7. Der jüdische Textilkaufmann Hermann Katz war in der Pogromnacht von einem SS-Schergen die Treppe in seinem Haus am jetzigen Steinpfad 4 heruntergestoßen worden — er sollte an den Folgen des Sturzes sterben. Die Erinnerung an ihn wird jetzt ebenfalls mit einem Stolperstein wach gehalten.

Am Markt, vor der Kirche, kamen viele Menschen zusammen zu Ehren von Pfarrer Theodor Kniebeler. Er war wegen Wehrkraftzersetzung zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden und musste sich anschließend an der Front „beweisen“. Er starb 1944 nach einer Verwundung.

Irmgard Schmitz kann sich noch an seine Predigt, die ihm zum Verhängnis werden sollte, erinnern. „Es war am Tag meiner Kommunion“, sagte die 83-Jährige. Kniebeler hatte unter anderem im Gottesdienst davon berichtet, dass die SS mit Waffengewalt Klöster stürme.

Pfarrer Ludwig Kamm rief zu einem Gebet für die Opfer auf — und für alle, die heute noch verfolgt werden. In das Gebet schloss er auch die Täter ein, „um sie zur Einsicht zu bringen“.