Susanne Kuhlendahl „Der Tod in Venedig“ fordert Illustratorin aus St. Tönis emotional heraus

St. Tönis. · Susanne Kuhlendahl hat die Thomas-Mann-Novelle um einen älteren Herrn, der bis zur Selbstaufgabe einen Jugendlichen verfolgt, in einen Comic verwandelt.

Susanne Kuhlendahl arbeitet am liebsten mit Papier, Stift und Aquarellfarben.

Foto: Emily Senf

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Ihr Protagonist jagt Susanne Kuhlendahl einen Schauer über den Rücken. Wenn sie über ihn spricht, verzieht sie das Gesicht, schüttelt den Kopf und lässt keinen Zweifel daran, dass sie sein Verhalten äußerst fragwürdig findet. Aber eben genau darum wollte die St. Töniserin ihn und seine Geschichte illustrieren, und daraus ein Comicbuch machen. Sie möchte in ihrer Version nicht etwa den Schriftsteller Gustav von Aschenbach hervorheben, um den sich Thomas Manns Novelle „Der Tod in Venedig“ dreht, sondern auch Tadzios Seite darstellen, jenes Knaben, der unter der Verfolgung von Aschenbachs leidet.

Kuhlendahl hat schon immer viel gemalt und gezeichnet, Tiere und Menschen etwa – Dinge, bei denen sie Gefühle darstellen konnte. Irgendwann stand dann diese eine Frage im Raum: „Wenn ich das beruflich mache, ist es dann noch Spaß oder nur noch Stress?“, erinnert sich die gebürtige St. Töniserin. Sie entschied sich dafür, studierte in Krefeld Visuelle Kommunikation und ist diplomierte Designerin. Während des Studiums lernte sie ihren Mann kennen, das Paar bekam drei Kinder. Kuhlendahl kümmerte sich um ihre Familie und arbeitete nebenbei als freie Illustratorin. Auf der Suche nach Aufträgen zog sie über Fachmessen – anfangs mit ihrem Mäppchen, aber noch ohne Internet und die Möglichkeit, mal eben eine E-Mail zu schreiben. „Das ging“, erinnert sich Kuhlendahl und lacht.

Die Figur Gustav von Aschenbach (r.) ist in den minderjährigen Tadzio verliebt.

Foto: Susanne Kuhlendahl

Seitdem arbeitete die St. Töniserin für Schulbuch-, Kinderbuch-, Bastel- und Kalenderverlage. Sie hat etliche Projekte umgesetzt, darunter eigene Comicbücher, sogenannte Graphic Novels, wie „Die Geigerin“ und „Novecento“, Bücher zum Ausmalen sowie Illustrationen für Schulbücher und die Wanderausstellung des Evangelischen Presseverbands für Bayern über den Theologen Dietrich Bonhoeffer. „Das war interessant, denn ich konnte malen, was es als Foto nicht gibt“, sagt Kuhlendahl.

Die Illustratorin hat auch
ein Händchen für Buchlayout

Noch immer arbeitet die St. Töniserin am liebsten mit Papier, Stift und Aquarellfarben. „Da hat man mehr Gefühl dafür“, sagt sie. Nachdem sie in ihrem Arbeitszimmer oder im Garten ihres Hauses Bilder gemalt hat, scannt sie sie ein und setzt sie mit einem Computerprogramm zu einem Buchformat zusammen. Am PC geschieht die Bildauswahl noch einmal sehr gewissenhaft. „Zum Beispiel guckt man bei einer Doppelseite zuerst unten rechts hin, da muss also eine Art Schlusspunkt sein“, erläutert die 56-Jährige. Gleichzeitig muss sie stets eine strenge Auswahl treffen. So war sie beispielsweise in ihrem neuen Buch von dem venezianischen Canal Grande begeistert, „aber für Leser tut eine Gondelfahrt über mehrere Seiten hinweg nichts zur Sache“, meint die Illustratorin. So beschränkte sie sich für diese Szene auf zwei Doppelseiten.

In der Geschichte entspinnt sich für Aschenbach eine ungeheuerliche Romanze zu einem halbwüchsigen Knaben. Er vergöttert den blondgelockten Jüngling als Ideal der Schönheit und als lebendig gewordenes Kunstwerk. Dann beginnt sein Abstieg, wird sein zuvor maßvolles und diszipliniertes Leben brüchig und endet schließlich in rauschhafter Verzückung – und dem Tod in Venedig. „Von Aschenbach ist so ein selbstverliebter Egomane, das fand ich schrecklich und wollte zeigen, was für ein Mensch er ist“, sagt die Illustratorin.

Kuhlendahl fuhr für ihre
Recherche auch nach Venedig

Mit viel Respekt vor Thomas Manns Werk sowie Behutsamkeit hat Kuhlendahl die Geschichte in Bildern erzählt. Dafür hat sie die Novelle mehrfach gelesen, von Aschenbach als Knetfigur immer wieder betrachtet, um ihn von allen Seiten passend malen zu können, und ist sogar nach Venedig gefahren, um sich die Schauplätze der Geschichte in echt anzugucken. „Es war eine Menge Recherchearbeit, das habe ich unterschätzt“, sagt Kuhlendahl. Gut ein Jahr hat sie insgesamt an dem Projekt gearbeitet, seit Ende vergangenen Jahres ist das Buch im Handel erhältlich.

Kuhlendahl hat sich über von Aschenbach geärgert und mit der teils altertümlichen Sprache der Novelle herumgeschlagen. Dennoch ist ihr die bereits im Jahr 1911 entstandene Geschichte in all der Zeit ans Herz gewachsen, wie so viele ihrer Projekte, mit denen sie sich über einen langen Zeitraum beschäftigt. Das kann manchmal auch ganz schön auf das eigene Befinden schlagen. So geht es beispielsweise im Comicbuch „Die Geigerin“ um ein Mädchen, dessen Vater die Familie verlässt. „Da muss man gedanklich in die Geschichte reingehen“, sagt Kuhlendahl: „Dadurch ist es emotional sehr anstrengend, tagelang weinende Menschen zu zeichnen.“

Ihre Frage von einst kann die 56-Jährige aber immer noch geradeheraus mit einem Ja beantworten: „Mein Beruf macht mich total glück­lich“, sagt sie und strahlt. emy