Vetriebene: Ein Mann mit zwei Heimaten

Helmut Nitzsche erinnert sich.

Vorst. In der Heimatstube von Helmut Nitzsche, wie er den kleinen Raum liebevoll nennt, häufen sich die Erinnerungen. Neben dem Foto seines schlesischen Heimatdorfes im Waldenburger Bergland teilt sich eine Landkarte von Niederschlesien die Wand mit ungefähr 50 Karnevalsorden. 14 Jahre war er Sitzungspräsident der KG Rot-Weiß. Neben Büchern über den Osten Deutschlands stehen solche über Vorst.

"So bin ich - ich habe zwei Heimaten", erklärt Nitzsche. Diese zweiseitige Verbundenheit drückte sich auch durch den 47-jährigen Vorsitz des Bundes der Vertriebenen in Tönisvorst aus. Schweren Herzens hatte Nitzsche Ende November den Bund mangels Mitglieder aufgelöst.

Helmut Nitzsche war bei Kriegsende 16 Jahre alt. Am 8.Mai 1945 marschierten sowjetische Truppen in das kleine Langwaltersdorf ein. Am gleichen Abend flohen die Nitzsches. "Ich zog einen Handkarren, mein Opa lief mit dem Rad neben uns her", erinnert er sich. Am nächsten Tag hörten sie: "Krieg aus - nach Hause!" und machten sich auf den Rückweg.

Dem Geburtshaus war nichts passiert. "Unsere Hühner liefen noch alle munter im Garten", erzählt Nitzsche lächelnd. Die Geschäfte öffneten wieder und der junge Helmut wurde in seinem alten Betrieb, der jetzt von einem Polen geleitet wurde, vom Büroangestellten zum Drucker umgeschult. Doch am 3.August 1947 wurde er endgültig vertrieben.

Über Umwege kam er nach Bielefeld. Dort lernte er seine Frau kennen. 1947 besuchte er den Rest seiner Familie zu Weihnachten in Vorst. Erst hatte sie im katholischen Pfarrheim gewohnt. Doch bald konnte sie eine Einzimmerwohnung beziehen. Probleme mit der neuen Heimat hatte nur der Opa. Als er 1950 starb, waren seine letzten Worte: "Warum hoan se mich nausgeschmissa?" 1954 zog Nitzsche mit Frau und dem ersten Sohn nach Vorst und fand hier eine neue Heimat. Seinen Ursprung hat er aber nie vergessen.

Erst 1973 konnte er ins alte Heimatdorf reisen. Seit 1974 pflegen die Nitzsches eine Freundschaft mit den polnischen Bewohnern seines Geburtshauses. Vor vier Jahren war er das letzte Mal dort - im heutigen Unislaw Slask. "Wenn es möglich ist, möchte ich im Frühjahr wieder hin."