Frau Poetsch, Sie loben Willich über den grünen Klee: wunderbare Nachbarschaft, „wunderschöne Stadt“, die „geographisch günstig liegt“ und „alles bietet, was uns und für unsere Kinder wichtig ist“. Wieso wollen Sie dann „einen echten Politikwechsel“ in Willich?
Bürgermeisterwahl 2020 „Bringe beste Voraussetzungen mit “
Willich · Claudia Poetsch, Kandidatin der Willicher Grünen und unterstützt durch „Für Willich“, im WZ-Gespräch über Ansatz, Anspruch und Aussichten.
. Claudia Poetsch hält die Sonnenblume im Bürgermeister-Wahlkampf von Willich hoch. Die 56-Jährige ist die Kandidatin der Grünen. Eine, die selbstbewusst das Amt der Verwaltungschefin anstrebt. Und sich trotz der erst kurzen politischen Verweildauer bei den Grünen und in der Lokalpolitik der 51 000-Einwohner-Stadt gute Chance ausrechnet. Zumindest auf die Stichwahl. Warum, erklärt sie im Interview mit der WZ.
Claudia Poetsch: Wir stehen vor großen Herausforderungen: Digtalisierung. Der demografische Wandel. Fachkräftemangel. Die Klima-Krise. Jetzt nenne ich die als grüne Bürgermeister-Kandidatin schon fast zum Schluss (Poetsch lacht). Das sind wirklich große Herausforderungen, die uns in den nächsten Jahren beschäftigen werden. Wir werden sie nicht mehr mit den bisherigen Entscheidungswegen und Entscheidungsmustern bewältigen können. Wir brauchen neue Ideen, wir müssen querdenken, interkommunal zusammenarbeiten, was bislang wenig erfolgt ist. Das sind Neuerungen, die ich in die Arbeit hineinbringen möchte. Und – was mir noch sehr wichtig ist – ich bin ja noch nicht lange im politischen Geschäft in Willich, nicht so verwoben wie meine Mitbewerber, und von daher habe ich den Anspruch zu sagen: Ich habe noch den ungetrübten Blick von außen auf die Dinge. Das ist die beste Basis für Veränderung.
Das könnte aber doch auch heißten „ungetrübt gleich ungeübt“. Denn Sie sind erst seit vier Jahren politisch tätig. Nicht jeder Willicher Bürger dürfte Sie bereits kennen. Warum reicht Ihnen Ausschuss- und Ratsarbeit für die Grünen nicht? Warum wollen Sie gleich ins höchste Amt der Stadt?
Poetsch: Weil ich denke, dass ich die besten Voraussetzungen mitbringe. Ich bin Diplom-Verwaltungswirtin, das heißt, ich habe den Verwaltungshintergrund. Ich habe bei der Bundesverwaltung gelernt, bin jetzt aktuell seit zwei Jahren in der Landesverwaltung im Ministerium des Innern. Dazwischen habe ich 27 Jahre Kommunalverwaltungs-Praxis, wirklich von der Pike auf, von der Sachbearbeitung bis zur stellvertretenden Amtsleitung. Mein Anspruch an das Bürgermeisteramt: Ich bin nicht nur Repräsentantin, sondern in erster Linie Verwaltungschefin. Ich bin für 700 Mitarbeiter verantwortlich, habe Führungserfahrung und diese professionalisiert und modernisiert durch meine Business-Coaching-Ausbildung. Ich bringe die besten Voraussetzungen mit.
Ihr erstes von zehn Zielen gilt „Klima und Umwelt“: Sie wollen die Ziele der „global nachhaltigen Kommune“ konsequent umsetzen und den neuen Geschäftsbereich „Umweltschutz, Naturschutz, Tierwohl, Nachhaltigkeit“ einrichten. Welche Kommune ist Ihnen da Vorbild?
Poetsch: Willich hat sich als Kommune ja an diesem Wettbewerb beworben. Ich habe keine direkte Vorbildkommune, gucke aber sehr gerne über den Tellerrand hinaus. Es gibt sehr tolle Positiv-Beispiele in den Niederlanden. Auch Ost-Westfalen hat tolle Projekte.
Welche zum Beispiel?
Poetsch: Saerbeck zum Beispiel ist seit 2009 Klimakommune NRW, deren Ziel es ist, sich mit Energie aus regenerativen Quellen zu versorgen. Es gibt Projektanbindungen zu Schulen, um für Schülerinnen und Schüler alternative Energiegewinnung erlebbar zu machen. Gute Beispiele, an denen man sich orientieren kann.
Die Stadt Willich soll bis 2030 klimaneutral sein. Alle Entscheidungen müssen daran gemessen werden, sagen Sie und fordern, die Inhalte der breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen. Erleben Sie denn viele uninformierte Bürger?
Poetsch: Der Beschluss ist vom Rat 2019 gefasst worden, dass man sich diesen Zielen anschließen möchte. Und dennoch sind die Inhalte der breiten Öffentlichkeit nicht bekannt. Wir hatten im vergangenen Jahr bei der kleinen Veranstaltungsreihe „grünes Forum“ zur Klimakrise den Beigeordneten Gregor Nachtwey zu Gast. Da kam ganz klar heraus, dass vielen Willichern das überhaupt nicht bekannt ist. Das müsste viel mehr kommuniziert werden. Die formulierten Ziele sind gesamtgesellschaftlich ausgerichtet. Da muss mit Verwaltung, mit Politik, mit der Zivilgesellschaft der Schulterschluss gesucht werden. „Global nachhaltige Kommune“ reduziert sich nicht nur auf Klimaneutralität. Es ist in der Tat viel weiter gefasst. So gehört unter anderem das Ziel dazu: Kein junger Mensch in Willich ohne Schulabschluss, keiner ohne Berufsausbildung. Betreuungsplätze, Wohnraum... das sind alles Ziele, die dort formuliert sind.
Sie sind Projektleiterin für die Digitalisierung der Kommunen im NRW-Innenministerium. Wieso geht es bei der Schaffung eines stabilen Mobilfunk- und Glasfasernetzes so schleppend voran?
Poetsch: Nach meiner Beobachtung wird die Versorgung noch oft privaten Investoren überlassen. Da setzt man bislang immer noch darauf, dass Leute Verträge abschließen, um es dann attraktiv für einen privaten Investor zu machen. Wie es die Deutsche Glasfaser zum Beispiel macht. Das ist für mich zu kurz gespungen. Das gehört für mich ganz klar in die Daseinsvorsorge, genauso wie Wasser, Strom, Gas. Jeder Hausshalt muss mit einem Internetanschluss und schnellem Internet versorgt werden. Ich bin der Meinung, die Kommune sollte selbst für den Glasfaser-Ausbau sorgen. Willich ist zurzeit ein Flickenteppich. Da muss man viel mehr Dampf machen. Bisher wurde zu klein-klein gedacht. Da können wir nicht immer nur bis zur Stadtgrenze denken. Das ist eine interkommunale Aufgabe. Digitalsierung ist Teil der Daseinsvorsorge. Wir müssen nicht nur im Kreis mit den Bürgermeistern sprechen, sondern auch mit dem Rhein-Kreis Neuss, mit Kaarst und Meerbusch, uns größer aufstellen, prüfen, wo wir im Ausbau stehen und ob unsere Strategien zum Ausbau übereinandergelegt werden können. Dann wird man als Gebiet auch ein Pfund und für den Ausbau interessant. Jede Kommune für sich ist zu klein, um wichtig zu sein. Dafür werde ich auf jeden Fall werben. Das werden die ersten Themen auf Kreisebene sein und über den Kreis hinaus, die ich ansprechen werde. Viele Kleinunternehmen oder Start ups finden sich ja gar nicht in den Industrie- und Gewerbegebieten, sondern arbeiten von zu Hause aus.
Wie sind Ihre Kontakte zum Kreis Viersen, zum Landrat?
Poetsch: Die Zusammenarbeit der Grünen mit dem Landrat ist ganz gut. Ich bin auch Mitglied des Kreisvorstands der Grünen. Über Jürgen Heinen besteht eine gute Verbindung.
Ihnen ist eine gut aufgestellte und kompetente Wirtschaftsförderung vor Ort wichtig, eine, die die Unternehmer berät und unterstützt. Ist denn die aktuelle Wirtschaftsförderung nicht gut aufgestellt?
Poetsch: Sie sind jüngst verstärkt worden, Inwieweit die Kompetenzen dort so vielfältig und gut aufgestellt sind, mag ich noch nicht detailliert beurteilen. Aber ich stelle fest, wenn ich in das Gespräch mit Unternehmern oder Einzelhändlern gehe, dass gerade zur Corona-Zeit, wo es ja richtig eng wurde, kein Kontakt stattfand. Das ist mir zu wenig vom Anspruch her. Wirtschaftsförderung muss ein kompetenter Partner auf Augenhöhe sein. In dieser schwierigen Zeit muss der Kontakt gehalten werden, um zu fragen, welche Hilfestellungen benötigt werden. Auch die Zusammenarbeit mit der Industrie- und Handelskammer (IHK) oder zur Handwerkskammer und anderen Organisation hier vor Ort und in der Nachbarschaft muss intensiviert werden. Bei einem Termin in der IHK musste der Gesprächspartner richtig im Gedächtnis kramen, ob die noch einen Namen unserer Wirtschaftsförderer zusammenkriegen.
Das überrascht uns sehr. Anderen Kommunen ist Willich darin Vorbild.
Poetsch: Ich habe meinen Gesprächskontakt vor dem grünen Hintergrund zum Thema Wirtschaft und Nachhaltigkeit ausgesucht. Ich würde mir zum Beispiel wünschen, dass mehr Willicher Azubis in Kooperation mit der IHK zum Energie-Scout ausgebildet werden. Auch die jetzt neu von der IHK angebotene Ausbildung zum Klima-Coach muss mehr in den Blick genommen werden. Offenbar gibt es bisher nur wenige Willicher Firmen, die in Bezug auf Nachhaltigkeit mit der IHK zusammenarbeiten.
Anderes Thema: Öffentlicher Personen-Nahverkehr. Sie fordern einen Ring-Bus-Verkehr, der alle Ortsteile verbindet. Wie soll der aussehen? Was soll er ersetzen?
Poetsch: Willich hat vier Ortsteile. Willich wurde ja vor 50 Jahren zusammengeschmiedet. Nehmen wir das Beispiel unserer Sportvereine, ein tolles Angebot über die gesamte Stadt. Aber aus Alt-Willich kommt niemand nach Anrath oder Neersen. Das ist für mich ein Indikator. Wir sind eine Stadt, aber die Ortsteile sind nicht so miteinander verwoben, als dass es selbstverstandlich wäre, dass man von einem in den anderen zum Sport fährt. Verrückt: Ein Alt-Willicher käme nicht auf die Idee, in Wekeln einzukaufen. Aber ich stelle mir den Ortsringverkehr wie eine Ader vor, die durch alle vier Ortsteile pulsiert. In kurzer Taktung. Auf dem Willicher Marktplatz treffe ich Leute aus Kaarst, Osterath und Meerbusch, aber niemanden aus Anrath.
Sehen Sie den Einsatz des Bürgerbusses als Ringbus?
Poetsch: Die Bürgerbusse kreisen bisher ja nur innerorts und dürfen es laut Rechtslage ja wohl auch nur. Aber es gibt mittlerweile ein anderes Denken auf Landesebene. Da hoffe ich für die ländlichen Gebiete auf Lösungen, dass man im Gespräch mit dem Verkehrsministerium Wege und Argumente findet, das auszuweiten. Dasselbe gilt für das Radwegenetz, das unbedingt verbessert werden muss. Es muss mehr Ladestationen für E-Bikes, überhaupt mehr Abstellmöglichkeiten für Fahrräder geben, wie zum Beispiel am Markt in Willich. Dafür muss dann mal ein Pkw-Parkplatz weichen.
Wie erleben Sie den Wahlkampf in Corona-Zeiten: Wie kommen Sie ins Gespräch mit den Bürgern?
Poetsch: Wir haben jetzt unsere Wahlstände. Am Anfang der Pandemie mussten wir auf digitale Formate umsteigen. Das fühlte sich erst komisch an, aber man hat sich schnell reingefunden. Das Feedback zu unseren Videos ist gut. Und wir haben als Partei sehr früh den Antrag auf Plakatierung gestellt und etwa fünf Wochen vor den andern auch umgesetzt. Das hat mir mit meinen Plakaten, die das ganze Stadtgebiet überzogen, zu einem deutlich höheren Bekanntheitsgrad verholfen. Ich erhalte viel Zuspruch, vor allem an den Ständen vor den Supermärkten. Wir teilen den Wahlkampf für mich und die Partei auf, suchen immer zeitgleich zwei Ortsteile auf. Mehr können wir nicht leisten bei unseren zurzeit 60 Mitgliedern.
Kommunalwahlrecht ab
16 Jahre. Wie kann man Jungwähler, überhaupt die Wähler motivieren, ihr Kreuzchen zu machen?
Poetsch: Wir motivieren an unseren Wahlständen: „Gehen Sie wählen, nehmen Sie das Grundrecht wahr.“ Ich dachte, dass sich durch Fridays for future mehr junge Leute in der politischen Arbeit engagieren, aber das ist nicht im großen Stil der Fall. Junge Leute mögen sich nicht so gern binden. Aber wir haben eine, wie ich finde, sehr gute Erstwähler-Information herausgegeben. Da haben wir auch die grüne Jugend eingespannt. Dann sind sie da. Wir gehen über die Social-Media-Kanäle. Und es wird auch der klassische Wahlkampf an der Haustür gemacht.
Im Kreis Viersen treten
28 Männer in den neun Städten und Gemeinden zu den Bürgermeisterwahlen an. Nur in Viersen sind es zwei, in Willich mit Ihnen eine Frau. Ist dieses Ungleichgewicht Thema in der Politik, bei den Bürgern?
Poetsch: Sehr oft. Ich bekomme häufig die Rückmeldung, dass man sich freut, dass nun auch eine Frau antritt. Und es gibt die starke Erinnerung an Käthe Franke, die überparteilich in guter Erinnerung geblieben ist. Ja, warum engagieren sich so wenige Frauen politisch? Ich bin da keine Ausnahme. Ich hatte erst die Gelegenheit, mich politisch zu engagieren, als meine Kinder groß waren. Das ist immer noch das Dilemma, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf – und auch Politik – oft an den Frauen hängenbleibt. Man muss schon ein Stück leidensfähig sein, um das alles gleichzeitig zu stemmen. Das ist für Frauen echt schwierig.
Die Grünen sind in Willich mit der CDU eine strategische Partnerschaft eingegangen? Wie hat Ihnen damals der Schritt gefallen? Was hatten die Grünen davon?
Poetsch: Die Gespräche habe ich persönlich nicht miterlebt. Ich weiß aus der Fraktion, dass es sonst keinen verlässlichen Partner gab. Die SPD hatte 2014 zu viel mit sich selbst zu tun. Mit der FDP war es nie einfach. Und die CDU hatte keine absolute Mehrheit mehr und war gesprächsbereit. Dadurch haben wir einige grüne Themen durchbringen können. Inwieweit sie fortgesetzt werden kann oder soll, müssen wir komplett neu überlegen, denn die CDU-Fraktion wird nach der Wahl eine ganz andere Mannschaft sein.
Nun kann man in Willich schon von einer Übermacht der CDU sprechen. Warum haben sich die Grünen nicht mit anderen Parteien, zum Beispiel mit der SPD, in Sachen Bürgermeisterkandidat zusammengeschlossen, um die Chancen zu erhöhren?
Poetsch: Ich führe schon Gespräche. Die kleineren Parteien spüren deutlich, dass da was geht. Die Unterstützung von „Für Willich“ ist da. Die SPD hat sich ja sehr früh positioniert, schon im Oktober 2019 den Wahlkampf begonnen. Da haben wir uns noch geschüttelt, geflasht vom Europawahlergebnis. Und wir sind so viel mehr bei den Grünen geworden. Wir sehen den Wählerwillen und wollten daher auch einen Kandidaten stellen.
Haben Sie schon gewählt?
Poetsch: Nein. das mache ich am 13. September. Wir gehen als Familie ins Wahllokal. Nur meine jüngere Tochter, die stark sehbehindert ist, hat ihre Briefwahl bereits gemacht.
Wie verbringen Sie den Wahlsonntag?
Poetsch: Ich bin zu einer Ausstellungseröffnung eingeladen. Ansonsten werde ich die Familie um mich haben. Und sie auch brauchen, denn ich werde an dem Tag sicher sehr nervös sein.
Schaffen Sie den Sprung in die Stichwahl?
Poetsch: Das ist mein erklärtes Ziel. Dann gegen den CDU-Kandidaten. Das wird hart umkämpft. Und diesmal richtig spannend.
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