Erinnerung an Kriegsopfer aus Rheydt Das historische „Kupferne Buch“ wirft sehr viele Fragen auf
Mönchengladbach. · Hobbyhistoriker Frank Fuge hat einen besonderen Fang gemacht: Ein Buch, das von 1932 bis 1940 in der Krypta eines Ehrenmals im Grenzlandstadion lag.
Es wiegt 60 Kilo, hat zehn metallene Seiten im Format 60x50 Zentimeter und schon reichlich Patina angesetzt. Das „Kupferne Buch“ liegt aufgeklappt und ein bisschen aus dem Leim, der hier aus Metallnieten besteht, auf einem Holzschrank im Haus von Frank Fuge. 1274 Namen von Adams, Franz Josef bis Zurmahr, Wilh. G. sind darin auf matt glänzende, messingfarbene Bleche graviert. Fein säuberlich untereinander. Der besonders prachtvoll als Halbrelief gearbeitete Buchdeckel trägt die Aufschrift „1914-1918 S(ie) opferten sich für uns“, auf der letzten Seite steht mittig „Lieferung C. Wischmeyer, Juwelier Rheydt - Ausführung Rob. Heymanns & Co. Gravieranstalt Rheydt“.
Frank Fuge ist mächtig stolz auf seinen besonderen Fang. Vor ein paar Monaten hatte der Wegberger Hobby-Geschichtsforscher das Buch in einem Anzeigenportal entdeckt und – gegen erste Bedenken seiner Frau („Was willst du denn damit?“) – zugegriffen. Beim Reintragen in sein properes Häuschen mussten allerdings ein paar Leute mit anfassen.
Fuge ist 58, begeisterter Motorradfahrer und ebensolcher Erforscher der Geschichte der Gefallenen der beiden Weltkriege, besonders des Ersten. In seinem Keller stapeln sich antiquarische Bücher, Folianten mit tausenden Seiten von amtlichen Meldungen über gefallene deutsche Soldaten. Alles ist rappelvoll. Und mittendrin stehen ein großer Computerbildschirm und ein Laptop.
Die Datenbank „Gefallenenforschung“ hat 68 300 Einträge. Seit 30 Jahren, damals hatte Fuge auf einer Motorradtour am Ehrenfriedhof in Verdun Halt gemacht und war beeindruckt von dieser riesigen Gendenkstätte, lässt den ehemaligen Bergmann (auf Sophia Jacoba) und heutigen Mitarbeiter eines Autozulieferers die Thematik nicht mehr los. „Die Verlierer vergessen ihre Toten schneller als die Sieger“, wählt er vielsagende Worte. Blumenschmuck an französischen, fehlender an deutschen Gräbern trifft er im Laufe der folgenden Jahrzehnte häufig an. Und so entscheidet er sich, „den Gefallenen wieder ein Gesicht zu geben“, wie er sich ausdrückt. Den Anfang machte sein damaliger Heimatort Hückelhoven. Inzwischen hat er seine Forschungen aber auf die Kreise Viersen und Heinsberg sowie Mönchengladbach/Rheydt ausgeweitet.
Mit dem Kupfernen Buch öffnet sich Fuge schon nach wenigen Wochen der Blick auf verstaubte, vergessene Rheydter Geschichte. Denn wie er zu seinem großen und immer noch wachsenden Interesse herausfindet, war dieses gewichtige Nachschlagewerk das Herzstück eines monumentalen, 15 Meter hoch aufragenden Ehrenmals für die Gefallenen des Ersten Weltkriegs im Rheydter Grenzlandstadion. „Michael hilf!“ war ein Werk des Bildhauers Walter Kniebe, geboren 1884 in Dortmund, Schüler von Peter Behrens an der Düsseldorfer Kunstgewerbeschule, unterwegs im Umfeld der Rheinischen Expressionisten: ein dynamisch sich aufschraubender Erzengel mit Schwert über einem am Boden züngelnden Drachen.
Welchen Weg das Buch seit
1940 gegangen ist, ist unklar
1928 vom Stadtrat in Auftrag gegeben, konnte das Werk erst 1932, nachdem statische und finanzielle Probleme gelöst waren – aus den veranschlagten Kosten von 50 000 Mark waren letztlich rund 80 000 Mark geworden –, eingeweiht werden. Das kupferne Monument bekrönte den Wall der Sportanlage gegenüber dem Eingang Gartenstraße. Sein Sockel beherbergte die kapellenähnliche Krypta und das Kupferne Buch mit den eingravierten 1274 Namen der Rheydter Gefallenen.
Zur Eröffnung kamen weit mehr als 10 000 Rheydter in das Grenzlandstadion, um den Weihereden der Honoratioren sowie den Segenswünschen der Vorsteher der evangelischen, katholischen und jüdischen Gemeinde zu lauschen, ebenso den Klängen der Gesangsvereine, des Orchesters. Aus einem niedrig fliegenden Flugzeug regnete es zudem rote Rosen. Die Reden begannen mit „Deutsche Männer, deutsche Frauen“, die Musik war „An mein deutsches Land“ von Hermann Zilcher, ein Massenchor sang „Vor der Schlacht“. Zum Schluss gab es noch das Deutschlandlied und Glockengeläut.
Keine acht Jahre später – die Welt war inzwischen aus den Fugen geraten – wurde „Michale hilf!“ niedergelegt und das Kupfer der Skulptur der Metallspende übergeben, nicht zuletzt deshalb, weil die Ratsherren (die in der Rheinischen Landeszeitung der Zeit meist „Volksgenossen“ heißen) einen „Missklang zwischen Sinn und künstlerischer Form“ ausgemacht hatten. Der Rohstoff landete derweil im „Dienst des großdeutschen Freiheitskampes“, so die RLZ vom 28. März 1940.
Bleibt das Kupferne Buch. Warum auch immer es den Krieg überlebte, ob es in ein damals geplantes Ehrenmal an einem neuen HJ-Heim wanderte und wie es von dort im Kreis Heinsberg landete, wo Frank Fuge es ausfindig machte: Es gibt noch viele ungeklärte Fragen. Frank Fuges Recherchen beim Stadtarchiv sowie Anfragen beim Museum Schloss Rheydt brachten jedenfalls bislang wenig Licht ins Dunkel.