Der Kampf gegen die „Handygaffer“

Rettungskräfte schlagen Alarm, weil immer mehr Unfallzeugen Fotos machen, anstatt Erste Hilfe zu leisten.

Foto: Theo Titz

Fast 45 000 Einsätze fuhr die Feuerwehr Mönchengladbach im vergangenen Jahr. Das allermeiste davon waren Notfalleinsätze. Und die sind auch für Rettungskräfte nicht immer leicht zu verarbeiten. Der tragische Unfall einer Fußgängerin am 17. November vergangenen Jahres gehörte beispielsweise dazu.

Da wurde eine 47-jährige Fußgängerin auf der Bismarckstraße von einem Lkw erfasst und überrollt. Als die Rettungskräfte am Unfallort eintrafen, war die Frau schon tot.

Das Bild, das der Unfallort bot, war so schrecklich, dass der Fahrer des Lkw und neun Augenzeugen psychologisch betreut werden mussten. Drei kamen sogar ins Krankenhaus. Aber es gab auch solche, unfassbare Reaktionen: Passanten griffen zum Smartphone und machten Aufnahmen von dem Unglück.

Die sogenannten „Handygaffer“ sind seit vielen Monaten ein ganz großes Thema bei der Feuerwehr. „Deshalb sind wir froh, dass wir jetzt Sichtschutzwände haben“, sagt Feuerwehrchef Jörg Lampe. So könne man nicht nur Pietät wahren, sondern auch Passanten vor schrecklichen Bildern schützen. „Wenn wir zu einem Unfallort kommen und Zeugen sehen, die an Häuserwände gelehnt langsam zu Boden rutschen, wissen wir schon, was los ist“, sagt Lampe.

Nicht selten müssten danach sogar Kollegen psychosozial unterstützt werden. Für diese Aufgabe gibt es seit März ein geschultes neunköpfiges Team, zu dem auch Lampe selbst gehört. Ihr Einsatz hat sich schon mehrfach bewährt.

Trotz oft schockierender Bilder, hinter denen menschliche Tragödien stehen, gebe es diejenigen, die anstatt zu helfen oder die Polizei zu alarmieren, als Allererstes zum Handy greifen und Aufnahmen machen.

Ein Phänomen, das auch die Polizei beobachtet, die oft Platzverweise aussprechen muss. Schlimm: Oft tauchen privat aufgenommene Unfall- und Opferfotos auch im Internet auf und werden dort ohne Rücksicht auf Hinterbliebene verbreitet, obwohl das strafbar ist.

Geschehen ist das auch nach dem Mord an Dominik (17), der am 31. Januar 2015 auf dem Reme-Gelände getötet wurde. Ein 15-jähriger aus dem Kreis Viersen stieß zufällig auf die Leiche, bevor die Polizei kam. Er fotografierte den Getöteten und verbreitete die Bilder über „WhatsApp“. Nach mühevollen Ermittlungen stieß die Polizei auf ihn. Der Junge wurde „wegen Verstoßes gegen das Kunst-Urhebergesetz“ angeklagt.

Der 15-Jährige, der zuvor einmal wegen Diebstahls geringwertiger Sachen und einmal wegen Sachbeschädigung in drei Fällen strafrechtlich in Erscheinung getreten war, wurde vom Gericht verwarnt. Der Angeklagte hatte in der Hauptverhandlung vollumfänglich gestanden, zwei Fotos von der Leiche gefertigt und diese via „WhatsApp“ an Freunde gesendet zu haben.