Freudentaumel und ruhige Verlierer
Sport: Das deutsch-britische Ehepaar Gus und Beate Crighton sah gemeinsam die Partie – und legte vorher Regeln für die Familie fest.
"Als klar war, dass die Achtelfinalbegegnung Deutschland-England heißt, war ich absolut sicher, dass wir gewinnen. Jetzt bin ich nur noch nervös." Gus Crighton sagt das Minuten vor dem Anpfiff. Er schaut mit Freunden und Kollegen im Hauptquartier - und mit seiner deutschen Frau Beate, Söhnchen Sean (15 Monate) und Schwiegermutter Marlis Neuser.
"Wir haben Familienregeln festgelegt", sagt Beate Crighton. "Wer heute gewinnt, darf nicht den, der verloren hat, aufziehen. Er darf sich nur ein bisschen freuen." Das Fußballfieber hat von der ersten Minute an alle im Griff. "Wenn die jetzt ein Tor schießen, dann geh’ ich", sagt die Deutsche bei einem guten englischen Angriff schon nach knapp zehn Minuten. "Jetzt, bitte, bitte, nun trefft doch", fleht sie dann.
Sean blickt fasziniert von einem zum anderen. "Er hat beide Fan-Outfits", berichtet seine Mutter. "Aber für das Spiel heute haben wir uns geeinigt, ihn neutral anzuziehen." Sie hat sich angesichts so viel englischer Übermacht auch nur ein paar Flaggen ins Gesicht gemalt. "Ich hatte ja gehofft, dass noch ein bisschen Unterstützung für Deutschland kommt - in Form von schottischen und irischen Soldaten. Die sind nämlich gegen England."
Als aber das 1:0 für Deutschland fällt, jubeln in der Civilian Mess nur drei Leute - Beate, Oma Marlis und eine deutsche Besucherin. "Das ist noch nicht vorbei", knurrt einer von Gus’ Freunden die Frauen an.
Rooney schießt weit drüber, ein anderer Kumpel nimmt entnervt Brille und England-Kappe und geht an die Luft. "Willst Du mal Deinen Schwiegervater anrufen?", stichelt Marlis Neuser in Richtung von Gus. Der Opa guckt mit Freunden in Essen. Es wird immer lauter. Eine Abseits-Entscheidung in der 30. Minute sorgt für wütende Ausbrüche. Dann fällt das 2:0. "Game over", seufzt einer von Gus’ Kumpels.
Die englischen Männer nehmen das Spiel deutlich ernster als die deutschen Frauen. Sean hat inzwischen eine englische Fahne mit Georgskreuz auf dem linken und die schwarz-rot-goldene auf dem rechten Arm.
2:1. "From zero to hero", jubeln die Engländer. Dann folgt Tumult. Das 2:2 fällt - wird aber nicht gegeben. Als der Linienrichter in Großaufnahme gezeigt wird, fliegen die Arme wütend in Richtung Fernseher. Beate packt eine Lakritzschnecke aus - als Nervennahrung. England drückt, die Engländer fiebern. "Ich bin optimistisch", sagt Gus in der Pause. "Die letzten 20 Minuten waren echt klasse. Vorher habe ich gedacht, es ist aus. Aber der Schiedsrichter ist ja wohl Deutscher, oder?" "Denk an 1966, Schatz", erinnert ihn seine Frau. "Ja, aber in Wembley haben wir am Ende 4:2 gewonnen, da war es egal", gibt Gus zurück.
Der Lattenknaller von Lampard in der zweiten Halbzeit gibt Hoffnung. Doch dann wird es immer ruhiger auf Seiten der Engländer. 3:1, 4:1 - Game over.
Das Ehepaar Crighton hält sich im Arm. "Keine Angst, die Scheidungspapiere werden nicht bestellt", sagt Beate Crighton und lacht.