Mönchengladbach. Vögel zwitschern, in den Kiefern kräuselt sich leise der Wind, ein Eichhörnchen hangelt sich über Terrassengärten, beim Spaziergang durchs bemooste Gras knirscht Morgentau unter den Schuhen: Wir sind auf dem jüdischen Friedhof in Wickrath. Zwischen den Häusern 17 und 21 liegt dieses 3080 Quadratmeter kleine Idyll in zweiter Reihe versteckt an der Rossweide.
Heute ist hier etwas anders: Die zwei Steinmetze Heinz Weyden und Tobias Kolbe machen sich an einem der 65 Grabsteine zu schaffen. "Pass auf, Heinz", rät Manfred Messing seinem Mitarbeiter zur Vorsicht. Der Steinmetzmeister aus Kempen konserviert in den nächsten sechs Wochen die Steine, von denen die meisten hier seit über 100 Jahren stehen. Nachdem die Stadt Mönchengladbach bereits die abgrenzenden Backsteinmauern restauriert hat, stehen jetzt die künstlerisch anspruchsvoll geschlagenen Blau- und Sandsteine im Mittelpunkt des Interesses.
Eine derartige Stein-Konservierung ist eine Premiere auf den sechs jüdischen Friedhöfen im Stadtgebiet. Das Land NRW fördert diese Maßnahme mit 60 Prozent, so dass die Stadt 31 000 Euro lediglich 12 400 Euro aus eigener Schatulle bezahlen muss. Und die Stadt konnte sich mit dem Steinmetz- und Bildhauermeister Manfred Messing einen ausgewiesenen Fachmann holen, der vergleichbare Arbeiten schon auf den jüdischen Friedhöfen in Wesel, Krefeld und Kempen durchgeführt hat.
Wer bei den Steinmetz-Arbeiten Wasserwaage, Schlauch, Hochdruckreiniger oder gar Chemie erwartet hat, der irrt. "Wir haben das Moos behutsam mit der Wurzelbürste entfernt", erläutert Manfred Messing, wie die Handwerker sich den Steinen nähern. "Es geht nicht um Aufhübschung, und wir ergänzen keine Inschriften", sagt der 43-Jährige.
Ziel sei, dass die zerstörerische Feuchtigkeit aus den Steinen rauskommt und künftig nichts mehr eindringt. Nur so können diese 65 sprechenden Zeugen der jüdischen Kultur erhalten werden. "Der Ist-Zustand 2009 soll erhalten und der Verfall gestoppt werden." Mittlerweile hat Messing über jeden Stein eine Dokumentation angelegt und neue Erkenntnisse zu Herkunft und Beschaffenheit gewonnen.
"Nach jüdischem Glauben bedeutet Sterben Übergang in die Ewigkeit", hat sich Gladbachs oberster Denkmalschützer Karl-Heinz Schumacher mit der religiösen Tradition vertraut gemacht. Deshalb liege der Tote hier dauerhaft- ein Ruheplatz für die Ewigkeit. "Entsprechend bleiben die Steine in ihrem ursprünglichen Zustand, werden keineswegs restauriert", ergänzt Dieter Peters vom Landesverband der jüdischen Gemeinden Nordrhein. Alles andere würde dem jüdischen Ritus widersprechen.
Entsprechend wohlwollend begutachten Peters und Schumacher sowie die jüdische Gemeinde Mönchengladbach, dass Messing und seine Leute die Steine förmlich wie rohe Eier behandeln.
Die Steine haben diese Pflege verdient. Neben eher schlichten Modellen- etwa dem ältesten Stein von 1847 für den Verstorbenen Jacob Quack- gibt es an der Stirnseite des Friedhofs prächtige Skulpturen, die meist mit der Wickrather Familie Spier zu tun haben. Zacharias Spier war der Gründer der Wickrather Lederfabrik, die Familie hat die Geschichte dieses Stadtteils geprägt.
"Es gehört zum Charme dieses Friedhofs, dass er weder in der NS-Zeit beschädigt worden ist noch dass ihn hinterher Steinmetze geplündert haben", sagt Schumacher. Auch das macht dieses Kleinod so wertvoll.
Wer den jüdischen Friedhof, der seit 1994 ein Baudenkmal ist , besichtigen möchte, muss sich wegen des Schlüssels an die Bezirksvertretung Wickrath wenden. Sie ist zu erreichen unter: Tel. MG 257901.