Lesung: Charlotte Roche hetzt von Tabu zu Tabu
Die Autorin hat ihren Debütroman „Feuchtgebiete“ im Comet-Cine-Center vorgestellt und Fragen ihrer Zuhörer beantwortet.
Mönchengladbach. Ihre fünfjährige Tochter und ihre Eltern dürfen das Buch nach Ansicht der Autorin niemals lesen. Dafür kamen andere Leserinnen und Leser auf den Geschmack von Charlotte Roches "Feuchtgebiete" - über 450 000 Exemplare wurden seit Februar verkauft. Der Erfolg dieses derzeit meistdiskutierten Anti-Hygiene-Romans gibt der 30-Jährigen auch bei ihrer Lesereise zahlenmäßig Recht. Wo Roche auftritt, melden die Veranstalter ausverkaufte Häuser.
Knapp 400 zumeist junge Zuhörerinnen erlebten allein im größten Kinosaal des Comet-Cine-Center an der Viersener Straße Deutschlands bekannteste Splatter-Feministin live und hautnah.
In einer Stunde Vortrag präsentierte Roche zunächst den mit Schockvokabular prall gefüllten "Saukram" vor der Großbildleinwand. Gut gelaunt quasselte die gebürtige Engländerin, deren Mutter Liz Busch eine gebürtige Mönchengladbacherin ist und langjähriges Mitglied der Grünen war. Mittlerweile lebt Busch in Ghana, wo sie ein Kinderzentrum aufgebaut hat.
Ihre Tochter plaudert derweil im Streifenkleid vor allem über das, "was sich zwischen den Beinen" ihrer Protagonistin Helen Memel während des Krankenhausaufenthaltes alles so abspielt.
Mit mädchenhafter Intonation hetzt sie von Tabu zu Tabu, suhlt sich mit Freude im Übertreibungsgestus ihrer in Interviews bezeichneten "sexuellen Pippi Langstrumpf" und lässt das "lockere" Gladbacher Publikum an expliziten Schilderungen teilhaben.
Verblüfft und entspannt wird gelacht, als man den sketchartigen Szenen folgt, zwischen "Intimrasur" und "Analfissur" sich ausnahmslos in die Untiefen des weiblichen Körpers begibt. Es schmerzt und trieft hörbar in Roches "Feuchtgebieten". Die Schamlosigkeiten scheinen selbst beim literarischen Vortrag kein Ende zu nehmen.
Nach den ersten 30 des 220 Seiten umfassenden Buches zieht Charlotte Roche die dramaturgische Reißleine, stellt sich unverkrampft den Fragen des Publikums. Nach der Idee zum Roman und seinen autobiografischen Zügen wird sie gefragt, selbst ob es eine Verfilmung des Skandal-Stoffes geben wird, will man wissen. "Helen Memel hat viel von mir", entgegnet sie mit leichtem Augenzwinkern. Doch dann stellt Roche aber auch unmissverständlich klar: "Ich würde Zustände bekommen, wenn ich so etwas vorgelesen bekäme."
Das Gladbacher Publikum aber hatte Spaß an der Lesung und ließ sich eine Viertelstunde nach Ende der Veranstaltung noch geduldig ein Exemplar signieren.