Ermittlungen laufen weiter Fotos früherer Verletzungen
Dahl. · Der Fünfjährige, der nach massiver Gewalteinwirkung am 21. April in Dahl starb, soll auch vorher schon verletzt worden sein. Der Staatsanwaltschaft liegen Bilder vor.
Die Ermittlungen im Fall des getöteten Fünfjährigen sind noch nicht beendet. Zwar liegt das feingewebliche Gutachten aus der Rechtsmedizin schon vor, Staatsanwalt Stefan Lingens hat jedoch um eine Präzisierung gebeten. Nach den bisherigen Untersuchungen „kann man schon sagen, dass es ein mehrfaches gewaltsames Einwirken auf das Kind“ gab, sagte Lingens.
Die 23-jährige Mutter des Jungen hatte am 21. April den Notarzt gerufen, weil es ihrem Sohn so schlecht ging. Den Rettern hatte sie erklärt, dass ihr Sohn am Nachmittag des Vortags aus dem Hochbett gefallen sei und sich dabei eine kleine Beule zugezogen habe und dass sich sein Zustand danach dramatisch verschlechtert habe. Der Notarzt hatte schnell erkannt, dass die Verletzungen nicht zu den Schilderungen der Mutter passen können. Das Kind war bei seinem Eintreffen schon tot. Die Obduktion der kleinen Leiche ergab: Der Junge starb durch massive Gewaltanwendung.
Doch auch bei der Polizei blieb die 23-Jährige bei ihrer Aussage, dass der Junge gestürzt sei. Gleiches sagt der Lebensgefährte (23). Ihren Berichten zufolge sei die Beule am Kopf am 20. April zunächst gekühlt worden. Am Ohr des Jungen sei danach eine Schwellung entstanden, die sich so vergrößert habe, dass das Ohr eingerissen sei. Das geht aus einer Antwort auf eine Anfrage im Landtag hervor. Am nächsten Morgen, also am 21. April, sei es dem Fünfjährigen so schlecht gegangen, dass er nichts mehr essen wollte. Gegen 18 Uhr verließ die Mutter die Wohnung. Etwa eine halbe Stunde später soll der Lebensgefährte seine Partnerin angerufen haben, weil sich der Zustand des Kindes weiter verschlechtert habe. Die Mutter kehrte zurück und wählte die Notarzt-Nummer. „Wir wollen jetzt wissen, welche Verletzungen in den 24 Stunden vor dem Tod entstanden“, sagt der Staatsanwalt.
Doch auch in der Zeit davor soll der Junge schon sichtbare Wunden gehabt haben. „Uns liegen Fotos davon vor“, berichtet Stefan Lingens. Aufgenommen worden seien sie von Menschen aus dem persönlichen Umfeld des Paares.
Das Jugendamt erkannte „keine Hinweise auf Misshandlungen“
Der Lebensgefährte, der wegen Totschlags, und die Mutter, die wegen Totschlags durch Unterlassen in Untersuchungshaft sitzen, hatten die Wunden immer durch Stürze des Kindes erklärt. Ähnliches geschah auch, als der kleinere Bruder des getöteten Jungen im Februar mit einem Brillenhämatom ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Die Untersuchungsergebnisse waren laut Lingens ebenfalls Gegenstand des rechtsmedizinischen Gutachtens. Ergebnis: „Es ist eher unwahrscheinlich, dass die Verletzungen von einem Sturz herrühren“, wie der Staatsanwalt sagt.
Das Jugendamt, das erstmals 2016 nach einer Beschwerde wegen Ruhestörung mit der Mutter Kontakt aufgenommen hatte, war allerdings genau vom Gegenteil ausgegangen. Nach einem Besuch im Krankenhaus und Rücksprache mit den Eltern sowie den behandelnden Ärzten hätten „keine Hinweise auf Misshandlungen vorgelegen“. Die Schilderung der Mutter, das Kind sei aus dem Hochbett gefallen, sei „plausibel“ gewesen.
Auch als knapp zwei Wochen später, am 23. März, die Leitung der Kindertagesstätte, die der Fünfjährige besuchte, dem Jugendamt Hämatome am Oberarm des Kindes meldete, schrillten bei den Jugendschützern offenbar keine Alarmglocken. Zwar gab es einen Hausbesuch bei der Familie, doch auch dieses Mal habe die Mutter die Herkunft der Hämatome „nachvollziehbar“ erklären können. Wieder wurde keine akute Kindeswohlgefährdung gesehen. Nach dem Besuch des Jugendamtes blieb der Fünfjährige der Kita fern, bevor sie am 16. März wegen der Corona-Schutzmaßnahmen geschlossen wurde. Lingens hatte schon vor Wochen erklärt: „Das Kind sollte offenbar der Öffentlichkeit ferngehalten werden.“