Vor der „Kreidekreis“-Premiere in der Rheinoper Ein faszinierender Zwitter
Düsseldorf · Eine Rarität des Musiktheaters: „Der Kreidekreis" des Komponisten Alexander Zemlinsky hat an diesem Sonntag Premiere in Düsseldorf.
Gerade noch hat David Bösch fürs ZDF-„Mittagsmagazin“ seine Inszenierung „Der Kreidekreis“ kommentiert, die am Sonntag im Opernhaus Premiere hat. „Wie oft kann man so eine Liveschaltung schon erleben, als Macher von Kunst und Kultur?“, freut er sich. Auch das selten gezeigte Werk von Alexander Zemlinsky beflügelt den Regisseur, zumal es in Düsseldorf noch nie zur Aufführung kam. Angekündigt wird „Der Kreidekreis“ als faszinierende Mischung aus Märchen, Parabel, Sozialdrama und Karikatur im Stil der 20er-Jahre. Dass das Werk als Rarität gilt, mag auch daran liegen, dass es eine Art Zwitter ist, halb Oper, halb Schauspiel.
David Bösch, einem Wanderer zwischen Sprech- und Musiktheater, kommt das sehr entgegen. „Ich möchte eine Lanze brechen für solche Mischformen“, sagt er. In der Vergangenheit habe man beides starr getrennt, viele Sängerinnen und Sänger hatten wohl auch wenig Interesse daran, vermutet er. „Jetzt aber sehe ich, dass die Bereitschaft durch alle Generationen zunimmt, sich damit zu beschäftigen. Diese Arbeit ist fantastisch, ich wünsche mir, noch mehr von solchen Zwittern umsetzen zu können. Und dass diese wieder neu entdeckt werden.“
Die Zugabe von Sprache, ja sogar richtigen Monologen, lasse die Handlung schillernder und poetischer erscheinen. Ein Genuss auch fürs Publikum und dazu angetan, jungen Besuchern den Zugang zur Oper zu erleichtern, glaubt der Regisseur. Wozu auch die Musik beiträgt. Sie oszilliert zwischen Jazz, Swing, Klassik und filmischen Anklängen, erinnert bisweilen an Mahler, Strauss oder Kurt Weill. Wer die „Dreigroschenoper“ liebe, sei hier richtig, sagt Bösch.
Die Geschichte ähnelt vom Inhalt her der gleichnamigen Parabel von Bertolt Brecht, ist aber ganz anders angelegt, weil Zemlinsky sich bei seiner Komposition an dem 1925 uraufgeführten Schauspiel von Klabund orientiert hat. „Das macht die Oper deutlich weniger didaktisch als bei Brecht“, beschreibt der Regisseur: „Manche Sätze mögen banal oder naiv erscheinen, sobald sie aber mit der Musik verschmelzen, entfalten sie eine ganz andere Kraft.“
Hauptperson ist Haitang (Lavinia Dames), die verlassen, verleumdet, verkauft, wegen Mordes verurteilt und von ihrem Kind getrennt wird. Nach ihrer Odyssee des Schreckens beansprucht eine andere Frau das mütterliche Recht. Prinz Pao muss sein Urteil fällen, er entscheidet sich für einen Kreidekreis, in dem um das Kind gerungen werden soll. Seine Überzeugung: Die echte Mutter wird es loslassen, um es nicht zu zerreißen. Und so kommt es auch, am Ende siegt die Gerechtigkeit. Bösch sieht in Haitang eine Märtyrerin, eine starke Frau voller Mitgefühl und der Bereitschaft zu verzeihen.
Böschs Lebensmittelpunkt liegt im österreichischen Linz
Das Ensemble sei wunderbar, schwärmt er. Überhaupt betrachte er seine Arbeit als großes Privileg, noch dazu in einer Umgebung wie Nordrhein-Westfalen, eine Speerspitze der Kultur. „Mir wird immer klarer, warum wir diese Institute haben und Geld dafür ausgeben“, sagt er: „Weil wir mit Dingen in Berührung kommen, die außerhalb unseres Alltags stehen. Im Theater sind die Türen geschlossen, das Licht geht aus, der Vorhang öffnet sich. Ein solches Gemeinschaftserlebnis wird immer wichtiger. Was da passiert, kann nicht konserviert werden.“
David Bösch, 1978 in Lübbecke geboren, ist fest mit seiner Heimat verwurzelt. „Meine Seele ist pures NRW“, beteuert er. Nach dem Abitur zog es ihn allerdings hinaus in die Welt. Er peilte ein Freiwilliges Soziales Jahr in einem Kibbuz an, lernte durch Zufall den deutsch-jüdischen Künstler Freddy Dura kennen und begleitete ihn ein halbes Jahr: „Ich ordnete sein Archiv und erfuhr alles über seine dramatische Familiengeschichte. Seine Programme waren gespickt mit schwarzem Humor, Humanismus, Melancholie und Weisheit.“ Das war wohl der Schlüsselmoment für die eigene Berufswahl und die Hinwendung zur Bühne. Bösch spielte am Theater Total in Bochum, bewarb sich an der dortigen Schauspielschule, scheiterte erst in der Endrunde. „Gut so“, sagt er, „ich habe eine große Bewunderung und Liebe für die Menschen, die da stehen. Mich hätte das aber zu weit fortgetragen von mir.“
Stattdessen studierte er Theater- und Filmregie, zuletzt in Zürich. Dann ging es Schlag auf Schlag, die Liste seiner Inszenierungen ist beeindruckend lang, darunter viele am Wiener Burgtheater und einige auch in Düsseldorf, zuletzt 2019 mit „Henry IV. und Margaretha di Napoli“. 2009 kam die Oper dazu, in beiden Genres fühlt er sich gleichermaßen zu Hause und sagt: „Ich mag die Abwechslung und bin froh, dass es so viele verschiedene Farben gibt in einem Spielplan.“
Inzwischen liegt Böschs Lebensmittelpunkt nach Stationen in anderen Städten im österreichischen Linz, wo er 2024 Schauspieldirektor wurde. Keine Angst vor zu viel Bürokratie und zu wenig Kreativität? „Nein, mir bleiben genügend künstlerische Freiheiten, das ist absolut machbar und eine Frage der Kommunikation“, antwortet er. In einem Punkt habe sich seine Sicht durch die neue Position verändert: „Als Regisseur neigst du dazu, kurz vor der Premiere auf Tauchstation zu gehen. Jetzt merke ich, wie schlimm das ist fürs Ensemble. Also habe ich dazugelernt und tauche bei den Endproben nicht mehr ab.“