Alkoholismus: Der Weg zurück ins Leben
Seit drei Jahren treffen sich trockene Alkoholiker, Männer und Frauen, zum Austausch.
Lank. Sie sitzen entspannt am Couchtisch, Smarties und Gummibärchen in Griffnähe, Teetassen und Wassergläser gleich daneben. Zwei Frauen und drei Männer sind an diesem Montagabend in die Räume der Evangelischen Kirchengemeinde gekommen. Alle fünf sind trocken, seit zwölf, drei oder — nach einem Rückfall — gerade erst einem Jahr. Ihre Abstinenz, der Verzicht auf Alkohol, verbindet sie auf ihrem „Weg zurück ins Leben“, wie Mechthild den Prozess beschreibt.
„Den Anfang“, sagt sie, „kriegt man gar nicht mit.“ Der Anfang — das war der Beginn ihres letztlich zehnjährigen Alkoholmissbrauchs, der irgendwann dazu führte, dass sie schon morgens mit zittrigen Händen die abendliche Ration von zwei Weinflaschen herbeisehnte. Bei aller Angst, den Alltag nicht bewältigen zu können, den gesellschaftlichen Kodex hielt sie ein: „Ich habe sogar in geselligen Runden Wasser getrunken, bin zwischendurch aber in den Keller gegangen, um Alkohol zu trinken“, schildert die Unternehmerin das Versteckspiel vor Familie und Freunden, das ungeheure Energie kostete.
Der Alltag wurde schwierig: Schon die Ankündigung von Kundenbesuchen löste Panik aus; Einkäufe wurden zur Tortur, weil die Bezahlung per Unterschrift erfolgen sollte — die Hand aber zu stark zitterte. „Mein Körper gehorchte mir nicht mehr“, sagt Mechthild. „Trotzdem wollte ich nicht wahrhaben, dass ich ein Problem hatte.“ Gab es keine Freunde, die sie darauf angesprochen haben? Gott sei Dank nicht, sagt Mechthild mit Nachdruck. „Da wäre die Freundschaft damals sofort kaputt gewesen.“
Erika hätte ganz anders reagiert. Sie, die tagelang exzessiv trank und dann wieder wochenlang abstinent sein konnte, ist „ganz viel rumgeeiert“, um Hilfe zu finden. „Ich habe ja gemerkt, dass es mit der Ehe und den Kindern schlecht lief. Ich hätte Hilfe angenommen.“ 20 Jahre hat sie getrunken, seit zwölf Jahren keinen Tropfen mehr. Eine Autofahrt nach Thüringen mit kleineren Unfällen, Fahrerflucht und einem Alkoholabsturz auf einem Rastplatz markierten für sie einen Wendepunkt, der sie zur Besinnung und in eine Suchtberatungsstelle brachte. „Ja, ja, ich war ein ganz schlimmer Finger“, scherzt sie heute.
Kapitulation, der körperliche Zusammenbruch — es sei immer ein enormer Leidensdruck, der die Wende auslöse, sagt Wolf-Christian Daub, der Initiator des Gesprächskreises. „Der erste Schritt fällt enorm schwer.“ Nicht immer gibt es im Umfeld Unterstützung. So wiegelte Mechthilds Hausarzt ab, als sie ihn endlich vorsichtig um seine Einschätzung bat, ob sie vielleicht ein Alkoholproblem habe; Erikas Mann wollte zwar, dass seine Frau weniger trinkt, hielt aber weder Entzug noch Klinikaufenthalt für notwendig. Motto: „Wer macht denn dann die Arbeit?“ Richards Arzt fand seinen Patienten, der am Ende war und eine Klinikeinweisung verlangte, nicht zerstört genug. Nur Willi ging es anders: „Mein Arzt und meine Frau waren meine Lebensretter!“
Die Entgiftung, Therapie (Daub: „Drei Monate Klinikaufenthalt für gesetzlich Krankenversicherte ist viel zu kurz“) und Alkoholverzicht hat das Leben aller verändert. Sie seien nicht mehr so gefällig wie sonst, sagen sie und meinen: nicht gleichgültig ihrer Umgebung und ihren eigenen Bedürfnissen gegenüber. Mechthild verkriecht sich nicht mehr und lässt jeden Tag zur Mittagszeit die Arbeit Arbeit sein und radelt 20 Kilometer „sportlich“, Richard gönnt sich wöchentlich einen Saunatag, und Erika sagt heute: „Dass mein Mann mich verlassen hat, war meine große Chance.“
In der Montagsgruppe von Wolf-Christian Daub arbeiten sie gemeinsam daran, dass es ihnen gut geht. „Die Gruppe hält einen trocken“, sagt Erika. „Die Angst vor einem Rückfall ist groß“, gibt Mechthild zu. Ihre Prävention: Sie sei süchtig nach Berichten Rückfälliger. Willi und Erika können ihr da aus eigenem Erleben berichten. Erzählen, zuhören, fragen, diskutieren — alles ist montags möglich: „Aber man kann sich auch dazusetzen und nur zuhören“, sagt Daub.