Europawahl 2024 Die Grünen sind der große Verlierer
Meerbusch · Während die meisten großen Parteien nur geringe Zugewinne oder Verluste zu verzeichnen haben, mussten die Grünen ein Minus von 10,6 im Vergleich zur Europawahl 2019 hinnehmen.
Sarah Winter hat schlecht geschlafen. Auch am Tag nach der Europawahl war ihr erster Blick auf die Auszählungen des Vorabends. „Das Ergebnis kann man nicht schönreden und damit sind wir nicht zufrieden. Wir müssen es erst mal sacken lassen und im Vorstand besprechen“, sagt die Parteivorsitzende der Grünen in Meerbusch. 2019 sei ein besonders erfolgreiches Jahr für ihre Partei gewesen. In Meerbusch schaffte sie es bei der Europawahl auf 25,3 Prozent, fast das Dreifache im Vergleich zu 2014 mit 9,2 Prozent. „Da schlagen die Verluste jetzt doppelt rein.“
Die Grünen sind in Meerbusch die großen Verlierer. Sie sind zwar immer noch zweitstärkste Partei, haben aber 10,6 Prozent weniger Stimmen als bei der Europawahl 2019 eingefahren. Mit 14,7 Prozent liegen sie nur 1,5 Prozentpunkte vor der FDP (13,2 Prozent) und 1,8 Punkte vor der SPD (12,9 Prozent). Die SPD ist mit einem Minus von 0,2 Prozent nahezu konstant geblieben, hatte aber 2014 noch 24,9 Prozent geholt. Die FDP hat 2,7 Prozentpunkte hinzugewonnen, eine erneute Steigerung seit 2014 (damals: 9,0 Prozent, 2019: 10,5 Prozent).
Wohin die Grünen-Wähler in Meerbusch abgewandert sind? „Darüber lässt sich nur spekulieren“, sagt Sarah Winter. Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) holte aus dem Stand 3,1 Prozent. „Ich glaube aber nicht, dass dessen Programm unsere Wähler überzeugt hat“, so Winter. „Beim Krieg in der Ukraine liegen wir diametral auseinander.“ Eher könne sie sich vorstellen, dass frühere Wähler bei Volt, der CDU oder sogar der FDP ihr Kreuz gesetzt haben. Alle drei legten in Meerbusch zwischen 1,7 und 2,8 Prozentpunkten zu.
Immerhin hätten sich die meisten Meerbuscher weiterhin für demokratische Parteien entschieden. Die AfD erhielt mit 7,7 Prozent nur halb so viele Stimmen wie im deutschlandweiten Schnitt mit 15,9 Prozent. Vergleichsweise also ein gutes Ergebnis, dennoch beunruhigend. „Früher hieß es, wer nicht wählen geht, überlässt den Rechten Feld. Jetzt war die Wahlbeteiligung hoch, und trotzdem haben die Rechten viele Stimmen geholt.“ Warum, das müssten nun alle Demokraten über die Parteigrenzen hinweg diskutieren. „Gibt es in unserer Gesellschaft einen zunehmenden Anteil an Rechtsextremen, die sich nicht mehr verstecken?“
Ähnliche Sorgen hat Bürgermeister Christian Bommers aus Meerbuschs Partnerstadt Fouesnant gehört. „Die Bretagne ist stark nach rechts gerückt“, berichtet der CDU-Politiker. „Das beunruhigt unsere Freunde dort.“ Das deutschlandweite Wahlergebnis zeige allerdings, wie unzufrieden die Bevölkerung auch hier im Land sei. „Auf das Thema Migration, das viele beschäftigt, muss eine Antwort gefunden werden“, sagt er. „Die Kommunen stoßen an ihre Grenzen, Flüchtlinge – aus welchem Grund sie auch kommen - vernünftig unterzubringen.“ Wenngleich in Meerbusch noch keine negativen Entwicklungen festzustellen seien. „Es ist positiv, dass die AfD hier vergleichsweise wenige Stimmen geholt hat.“
Als Bestätigung für gute Lokalpolitik betrachtet Bommers die Europawahl-Ergebnisse nicht. „Wenn dies so wäre, würde ich mich natürlich freuen. Aber ich glaube, dass die Menschen bei ihrer Wahl von der Bundespolitik geleitet wurden.“ Und hier sieht er einen Ansporn für die etablierten Parteien, sich mehr in Sozialen Medien zu präsentieren. „Wieso überlässt man Tiktok und Co. der AfD?“ Auch die demokratischen Parteien sollten versuchen, die jungen Menschen über diese Wege zu erreichen.
Dieses Thema beschäftigt auch die Grünen. Denn nach der Wahl ist vor der Wahl. „Wir haben schon mit den Planungen für die Kommunalwahl im nächsten Jahr begonnen“, berichtet Sarah Winter. Insbesondere gelte es, zu überlegen, die jungen Wähler für die Demokratie zu gewinnen.
Die Spaltung der Grünen in Meerbusch in zwei Fraktionen sieht die Parteivorsitzende nicht als eine Ursache dafür, dass sich Wähler von den Grünen abwenden. „Das ist zwar nicht schön für uns, aber die Wähler haben dadurch noch ein weiteres demokratisches Angebot.“