Historisches in Meerbusch Straßenbau war der Aufreger des Jahres 1782

Meerbusch · Probleme mit der Infrastruktur wurden früher anders als heute gelöst. Nach einem Erlass waren die Einwohner beim Straßenbau verpflichtet, mit anzupacken. Das sorgte für Widerstand.

Die Haupt- und Mühlenstraße in Lank-Latum wurden erst Ende der 1950er-Jahre mit einer modernen Straßendecke versehen. Dabei kam noch eine echte Dampfwalze zum Einsatz.

Foto: Stadtarchiv Meerbusch/Repro Mike Kunze

Dass Straßenbau ein eher handfestes Gewerk ist, dürfte kaum neu sein, dass aber gestandene Frauen dabei in eine Schlägerei geraten wohl schon. Das jedenfalls ist 1782 in Oppum, unmittelbar hinter der Stadtgrenze geschehen und war nicht der einzige Aufreger dieses Jahres. Auch sonst barg die ungewohnte Maßnahme des Landesherrn in den Meerbuscher Altgemeinden einigen Sprengstoff, weil der ungewollte Arbeitseinsatz Widerstand hervorrief.

So verfügte der Linner Amtsverwalter Peter Kürfgen kurz nach Jahresbeginn, dass alle Einwohner der Ämter Linn und Uerdingen in den nächsten Wochen und Monaten nach ihren Kräften und Möglichkeiten zum Straßenbau herangezogen werden sollten. Als erste widersetzten sich die Ilvericher Bauern dieser Anordnung, die immerhin auf einem Erlass des Kurfürst-Erzbischofs Maximilian-Friederich von Königsegg von 1779 fußte. Eigentlich sollten während der Frostperiode Mitte Februar die Straßen mit Kies ausgebessert werden. Gepflasterte Straßen waren damals auf dem Lande noch nicht üblich. Nur die Verbindungsstraßen hatten eine Kiesdeckung. Und nur um diese ging es zunächst auch. Als aber die größeren Bauern, die vier bis sechs Pferde ihr Eigen nannten, sich weigerten, diese auch einzusetzen, klagte der Ortsvorsteher dem Amtsverwalter sein Leid, so dass dieser eine unmissverständliche Weisung verfasste. Offensichtlich hatten die Verpächter besonders der großen Höfe sich nicht in der Pflicht gesehen und dies auch ihren Pächtern so mitgeteilt, um Abzüge an der Pacht wegen der Arbeitsleistung zu vermeiden.

Allerdings waren die großen Bauern – hier kamen nur wenige Höfe infrage – nicht die einzigen, die der Straßenbau vor Gericht brachte. So klagten die Kleinbauern mit ein bis drei Pferden nach Abschluss der Arbeiten vor dem Linner Amtsverhör gegen das Kloster Meer und den Hofkammerrat von Otten. Offenbar waren es deren mehrspännige Pächter, die sich ihrer Pflicht entzogen hatten, was unmittelbar zu einer Mehrbelastung der Kleinbauern geführt hatte, die nun alle Materialtransporte allein geschultert hatten. Mit dem Notar Römer hatten sie sich durch einen Juristen vertreten lassen, aber offenbar konnte man sich über die Osterferien außergerichtlich einigen.

Woher aber kam der Kies? Die Langster Untertanen hatten es sich einfach gemacht und auf eine natürliche Ressource zurückgegriffen. Am Vorstenberg, einer eiszeitlichen Düne, konnte Kies im Lohbusch abgegraben werden. Das allerdings rief den zuständigen Förster Veedels aus Nierst auf den Plan. Schließlich war die Loh ein Erbenbusch, den nicht jeder einfach nutzen konnte. Auch er klagte beim Amtsverhör gegen die Kiesdiebe. Allerdings wehrte sich der Langster Ortsvorsteher Herman Sassen vom Nauenhof: Er gab an, den Mitförster Peter Nauen aus Kierst informiert und mit etlichen Langster Miterben den Kies gewonnen und abtransportiert zu haben. Dabei sei außerdem vor allem der Weg von Langst durch den Lohbusch nach Latum – der Verbindungsweg von der Rheinfähre nach Latum und weiter zum Verwaltungssitz Linn – ausgebessert worden. Auch hier erließ der Amtsverwalter eine Weisung an die Langster Gemeinde und auch diesmal scheint man außergerichtlich eine akzeptable Einigung gefunden zu haben. Sicher wäre es klüger gewesen, von Anfang an alle Erben einzubinden.

Pflanzlöcher für Bäume
in die Straße gebuddelt

Ebenfalls ins Visier der Rechtsprechung geriet Jacob Steves, der offenbar Pflanzlöcher für Bäume nicht etwa an seiner Grundstücksgrenze, sondern etwa eineinhalb Meter in die Straße hinein gesetzt hatte, die dadurch natürlich erheblich schmaler wurde. Reumütig versprach der Willicher, dies rückgängig zu machen. Dies reichte dem Amtsverwalter Kürfgen für diesesmal – sofern Steves auch die Gerichtskosten übernahm.

Den Vogel schossen allerdings die Oppumer ab, was sicher auch in den angrenzenden Orten Ossum und Bösinghoven zu Klatsch und Tratsch führte. Die Nachbarn waren etwas spät dran und widmeten sich erst Anfang Juli dem Straßenbau. Weil da aber schon Feldarbeit und Erntezeit liefen, wurden auch die Frauen eingespannt. Hier neckte Christina Friedrichs die vor ihr arbeitende Irmgard Schüren, indem sie deren „Kleider zuerst zum Spectakel aller groß und kleinen daselbst Anwesenden biß auf den Rücken aufgehoben hätte.“

Da damals Unterwäsche bei einfachen Leuten noch nicht in Mode war und die Frauen lediglich einige Über- und Unterröcke trugen, stand die ansonsten ehrbare Haus- und Ehefrau nun ziemlich entblößt im Mittelpunkt des aufflammendes Interesses. Wutentbrannt fuhr sie herum, beschimpfte die Missetäterin als „Luder, Canaille, Hur“ und ging auf sie los. In die Handgreiflichkeiten mischten sich schließlich auch Schwiegermutter und Ehemann der gedemütigten Frau ein. Ehemann Heinrich Lüttgens soll seine Nachbarin Friedrichs sogar „in Beyseyn sehr vieler auf der Weegarbeit begriffener Oppumer Einsaßen auf den blosen Hinder geschlagen“ haben, was bei seiner Frau wohl einige Genugtuung hervorgerufen haben dürfte.

Vor Gericht jedenfalls bestritt Lüttgens dies. Vielmehr wollte Friedrich offenbar genau diesen Eindruck erwecken und soll versucht haben, sich selbst die Röcke hochzuziehen, was er aber mit Mühe verhindert habe. Hierzu sollten noch weitere Zeugen geladen werden, was der Landbote Meurers schon am Tag nach der Klage erldigte. Die peinlichen Aussagen blieben dem Gericht allerdings erspart, da sich die beiden Frauen, nachdem die Gemüter etwas abgekühlt waren, offenbar wieder vertrugen, jedenfalls kein weiteres Geld für einen Rechtsstreit ausgeben wollte.

Die Arbeiten des Jahres 1782 stellten insgesamt den ersten Versuch dar, den Unterhalt zumindest der überörtlichen Wege zu organisieren. Die geringen Mittel des Staates führten dabei zu einer direkten Belastung der Untertanen durch die damit verbundene Arbeit. Insgesamt blieb diesen Bemühungen der Erfolg versagt, denn auch die Franzosen klagten 20 Jahre später noch über den miserablen Zustand der Landstraßen und widmeten sich zumindest der Instandsetzung der militärisch wichtigen Straße Köln-Nimwegen, die seit der Römerzeit durch Büderich, Strümp und Latum führte.

Erst in dem 1870er-Jahren begannen die Preußen auf einigen Verbindungsstraßen die Kieslage durch Basaltsplit zu ersetzen, Kopfsteinpflaster kam gar erst nach der Wende zum 20. Jahrhundert zusammen mit Fahrrädern und Automobilen auf und beschränkte sich meist auf die innerörtlichen Hauptstraßen. Die übrigen innerörtlichen Straßen wurden oft erst in den 1950er- und 60er-Jahren kurz vor der Gründung der Stadt Meerbusch mit Kanalisation und Gehsteigen sowie einer Asphaltdecke versehen.

(kun stz)