„Der Strukturwandel braucht Zeit“

Betriebsräte und Gewerkschafter appellieren an die Kohlekommission, nachhaltige Konzepte für das Rheinische Revier zu entwickeln.

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Grevenbroich. Klaus Emmerich bringt es auf den Punkt: „Der Strukturwandel braucht Zeit, er lässt sich nicht innerhalb weniger Monate auf dem Reißbrett produzieren“, sagt der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende des Tagebaus Garzweiler. Und das ist auch das Signal, das er gemeinsam mit Michael Bochinsky (RWE), Manfred Maresch (IG BCE) und Thomas Leigsnering (Verdi) an die Kohlekommission in Berlin richtet: „Nichts übers Knie brechen, sondern nachhaltige Zukunfts-Konzepte für das Rheinische Revier entwickeln.“

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Das haben die Gewerkschaften so ähnlich bereits im Juni in ihrem „Revier-Appell“ formuliert, der zurzeit auf zahlreichen Festen in der Region kursiert. „Wir werden von vielen Menschen unterstützt“, bilanziert Manfred Maresch, Bezirksleiter der IG BCE. „Mehrere Tausend Unterschriften sind zusammengekommen.“ Und es sollen noch mehr werden: Die Aktion läuft bis September, dann wird der Appell an einen Vertreter der Kohlekommission übergeben. Welches Mitglied das sein wird, steht noch nicht fest.

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„Es gab hohen Bedarf, dass das Revier endlich mit einer Stimme spricht“, sagt der Gindorfer Michael Bochinsky, stellvertretender Gesamtbetriebsratsvorsitzender und Aufsichtsratsmitglied der RWE AG. „Und wir haben es schnell geschafft, mit dem Appell das politische Revier hinter uns zu vereinen.“ Das sei wichtig, denn in der Kohlekommission seien zwar Gewerkschafter vertreten, aber niemand aus der vom Strukturwandel betroffenen Region — „kein Bürgermeister, kein Betriebsrat, nichts“, sagt Bochinsky.

Thomas Leigsnering, Verdi-Gewerkschaftssekretär

Bis zum Jahresende soll die vom Bundeskabinett eingesetzte Kommission ihre Vorschläge für den Strukturwandel erarbeiten und ein Abschlussdatum für das Ende der Braunkohlenverstromung nennen. „In ein paar Monaten über eine in 100 Jahren gewachsene Industrie zu entscheiden, das ist ein unheimlich enger Zeitplan“, sagt Thomas Leigsnering. Der Verdi-Gewerkschaftssekretär betrachtet das mit Sorge — denn viel zu viele Fragen seien noch offen. „Was passiert mit den Arbeitsplätzen, die durch die Braunkohle verloren gehen? Und was ist mit der Versorgungssicherheit und dem preiswerten Strom, auf den die energieintensiven Betriebe etwa aus der Aluminium-, Chemie und Papier-Industrie angewiesen sind?“

Die Arbeitnehmervertreter sind sich einig: Das Revier benötige einen Einstieg in einen Strukturwandel, der auch nach der Braunkohle gute Industriearbeit sichert. Und es werde eine Energiewende gebraucht, die weiterhin bezahlbaren Strom garantiere. „Der Pfad für ein Ende der Kohleverstromung ist bereits vorgezeichnet durch die in den nächsten Jahrzehnten auslaufenden Genehmigungen“, sagt Michael Bochinsky. Die Klimaschutzziele 2030 und 2050 ließen sich deshalb auch ohne ein symbolisch gesetztes Ausstiegsdatum erreichen, appelliert er in Richtung Bundeshauptstadt.

„Mit unserem Fahrplan haben wir das 2020er Ziel aus dem Pariser Abkommen fast erreicht“, sagt Bochinsky. Mit der Sicherheitsbereitschaft des Kraftwerks Frimmersdorf sei RWE in Vorleistung getreten. „Das spart schon jetzt 15 Prozent an Kohlendioxid ein“, so der Betriebsrat. „Im Jahr 2030 werden wir bei 40 oder 50 Prozent landen, wenn der Tagebau Inden ausgekohlt und das Kraftwerk Weisweiler stillgelegt wurden.“ Ein verfrühtes, „von Symbolpolitik getriebenes Abschalten“, warnt Bochinsky, würde schmerzhafte Folgen für die heimische Industrie haben — „das würde Strukturbruch und damit Kahlschlag bedeuten“.

„Wie es nicht funktioniert, haben wir bei der Steinkohle im Ruhrgebiet gesehen. Das darf sich hier nicht wiederholen“, sagt Emmerich. Die Region müsse wettbewerbsfähig gehalten werden, besonders mit Blick auf die energieintensive Industrie. „Jeder in der Region partizipiert von diesen großen Arbeitgebern, die letztlich auch die Kaufkraft sichern.“