Doping: „Früher oder später werden es alle begreifen“

WZ-Interview: Sascha Severin, Experte im Kampf gegen Doping und Erfinder des „Neusser Modells“, zur Tour de France.

Herr Severin, sind Sie als "Macher" des Neusser Modells von den drei nachgewiesenen Doping-Fällen bei der Tour überrascht worden? Oder fühlen Sie sich bestätigt?

Severin: Bestätigt. Ganzheitliche und konsequent durchgeführte Antidopingprogramme sind richtig und wichtig. Die ASO macht es für die Tour de France, wir machen es für die Deutschland-Tour. Natürlich, wo gereinigt wird, wirbelt Schmutz auf. Das beweist doch, dass die Maßnahmen greifen.

Stimmen Sie der These von den "Einzelfällen" zu?

Severin: Nein, daran glaube ich nicht. Das ist eine nationenspezifische Angelegenheit. Leider sind es wohl nicht nur die bisher aufgefallenen Fahrer aus Spanien und Italien. Intern kursieren Gerüchte, dass es bei 20 weiteren Fahrern auffällige Werte gibt. Ich hoffe und glaube nicht, dass Franzosen und Deutsche dabei sind. Die Einen haben es begriffen, die Anderen noch nicht, aber früher oder später werden es alle begreifen. Ich denke, dass die Tour de France 2008 bei diesem Prozess sehr hilfreich sein wird.

Wenn das neue Epo so lange nachweisbar ist, sollten dann nicht alle Tour-Fahrer einmal getestet werden?

Severin: Eine berechtigte Frage, aber Kosten und Zeitaufwand sprechen dagegen. Und es reicht vollkommen, dass die Kontrollen unberechenbarer geworden und die Analyseverfahren sehr verfeinert worden sind. Die Gefahr, erwischt zu werden, war noch nie so groß wie heute. Das wissen mittlerweile auch die Fahrer. Die Letzten lernen es gerade bei der Tour.

Zehn Jahren nach dem Festina-Desaster ist also nicht mehr Alles beim Alten?

Severin: Nein, gerade in Frankreich hat sich viel getan. Die Franzosen waren die ersten mit einer vernünftigen Anti-Doping-Prävention, seit zwei Jahren ist Deutschland dabei. Aber gut Ding braucht Weile. Die Doping-Strukturen sind eben über Jahrzehnte gewachsen. Eine Veränderung von heute auf morgen zu erwarten wäre naiv. Das gilt übrigens nicht nur im Radsport.

Muss das neue Bekanntwerden von Doping-Vergehen ambitionierte Amateure nicht geradezu darin bestärken, dass ohne Doping Spitzenleistungen nicht möglich sind?

Severin: Ich glaube, die Gefahr ist nur groß, wenn man die Nachrichten unkommentiert lässt. Was mich richtig wütend macht, sind Aussagen, nach denen angeblich bei allen Rundfahrten gedopt wird, resp. dass Athleten eine Rundfahrt nur mit leistungssteigernden Mitteln bestreiten können. Die Folgen für den Nachwuchsradsport sind katastrophal. Zudem stimmt es einfach nicht. Man kann Spitzenleistung ohne Doping bringen. Voraussetzung ist ein vernünftiges, wissenschaftlich gesteuertes Training.

Kann man eine "Tour de Neuss" noch organisieren, als sei nichts gewesen?

Severin: Definitiv ja. Sonst darf man keinen Leistungssport mehr anbieten. Es wäre ungerecht und zeugt von Unkenntnis, sich nur am Radsport schadlos zu halten. Würde man in anderen Sportarten ebenso kontrollieren, käme man sicher auf eine ähnliche Dopingquote.

Freuen Sie sich auf die Deutschlandtour, die in Neuss Station macht?

Severin: Natürlich. Das wird eine tolle Veranstaltung. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir uns hiermit nachhaltig für die Tour de France als Etappenort empfehlen werden.