Dormagen: Anton Becker- Ein Mann für alle Streit-Fälle
Im Alter von 77 Jahren muss der Dormagener das Amt aufgeben. 679 Fälle hat er bearbeitet - darunter einige, die er nie vergisst.
Dormagen. Er kann es nicht lassen. Wenn es irgendwo Streit gibt, muss Anton Becker (77) schlichten. Dafür braucht er auch das Amt des Schiedmanns nicht, das er am Montag nach 15 Jahren aufgeben musste. Während die Altersgrenze eigentlich bei 75 Jahren liegt, durfte er seine Amtsperiode noch beenden - eine Ausnahme. "Trotzdem bin ich diese Woche noch im Einsatz" sagt Becker und erzählt, dass er seinem Nachfolger noch ein wenig helfen wird.
Der 77 Jahre alte ehemalige Experte für Ladungssicherung bei Bayer hat in den vergangenen Jahren so viele Menschen vor sich sitzen gehabt, dass er aufgehört hat, sie zu zählen. Doch die Zahl der Fälle weiß er: 679. Häufig geht es um Nachbarschaftsstreit und immer wieder um Beleidigungen und Verleumdungen. Becker erinnert sich an Ehen, die er gekittet hat, und an eine Schlägerei in der Schiedsstelle, bei der sich plötzlich 20 Männer prügelten.
Auch von zwei Nachbarn, die jahrelang friedlich nebeneinander gewohnt hatten, weiß er noch. Trotzdem kam es eines Tages zum Streit: Einer der Männer pflanzte auf seinem Grundstück Sträucher und forderte daraufhin den anderen auf, seine hohen Tannen zu kappen, da sie Schatten auf die Sträucher warfen. Als die beiden Männer schließlich vor Becker saßen, waren aus den ehemals guten Freunden erbitterte Streithähne geworden.
Doch der Schlichter wusste Rat. Bei einer Ortsbegehung stellte er fest, dass es ausreichen würde, die unteren Äste der Bäume abzusägen. So wurde es gemacht, und die Sträucher bekamen fortan die nötigen Sonnenstrahlen. Wie er den Nachbarn danach ergangen ist, weiß Becker allerdings nicht. Nur selten kann er nach seinem Schiedsspruch verfolgen, was aus den Menschen wird, die ihn aufgesucht haben.
Still wird der 77-Jährige, wenn er von einem Fall spricht, der ihm bis heute nahegeht. Da beschwerte sich eine Frau, dass ihr Mann das ganze Geld mit einer Jüngeren verjubelte. Als der Schiedsmann ihm daraufhin eine Ladung zum Gespräch schickte, erhängte sich der Mann.
Von Sinn und Zweck des Schiedswesens ist er dennoch überzeugt: "Im Gericht ist immer einer der Verlierer, und dann artet der Streit irgendwann sowieso wieder aus." In einem Schiedsverfahren komme man hingegen in vielen Fällen zu einer Einigung, und damit werde der Konflikt meist auf Dauer gelöst.
Mit den Jahren hat Becker gelernt, wie man am besten vorgeht. Ein Schiedsmann müsse "die Leine lang lassen", denn: "Der Dampf muss erst mal raus." Das wirklich Wichtige für seine Arbeit seien nicht die Gesetze, sondern es sei das Menschliche, sagt er und lächelt, als sei das sonnenklar. Daher brauche ein Schiedsmann auch viel Geduld: "Man muss einfach zuhören können."
Die Erfolgsquote der Schiedsleute liegt bei über 50 Prozent. Seine persönliche Quote sei jedoch höher, verrät er und zwinkert. Sie liegt bei 98 Prozent.