Gedenkstunde am Rückriem-Mahnmal: Wenn Menschen keine Werte kennen
Am Standort der Synagoge wurde der jüdischen Opfer gedacht.
Neuss. Wilhelm und Grete Marum, ermordet in Auschwitz. Fritz Stein, seine Muter Paula Stein, seine Schwester Irma Coppel, gestorben in Auschwitz. Benno Nussbaum, gestorben in Theresienstadt.
Viele Neusser Namen wurden am Mittwoch an der Promenadenstraße genannt: Namen jüdischer Neusser, die gedemütigt, verfolgt, gequält, ermordet wurden.
Der 9. November 1938 markiert einen Einschnitt in der Topographie des Terrors: Nach der Reichspogromnacht, als auch in Neuss die Synagoge brannte, wurde aus Verfolgung systematischer Terror und Vernichtung. Es war „die Nacht, als die letzten Masken fielen“, wie es Michael Szentei-Heise von der jüdischen Gemeinde Düsseldorf benannte.
Zum Jahrestag trafen sich wieder zahlreiche Neusser, darunter viele Jugendliche, zur Gedenkstunde am Rückriem-Mahnmal, das den alten Synagogen-Standort markiert. Stets gestalten Schüler die Gedenkstunde mit, in diesem Jahr waren es Jugendliche des Leistungskurses Geschichte der Jahrgangsstufe 13 aus der Gesamtschule an der Erft.
Sie gaben mit ihren Schilderungen der Schicksale einiger jüdischer Familien, so kurz sie auch waren, Einblicke in Verfolgung und vergebliche Flucht, die fast mit dem od ausschließlich im Ghetto oder Vernichtungslager endete.
Der Geschichtslehrer Reiner Kutschki lenkte den Blick nochmals auf den 9. November; „die entscheidende Stelle auf dem Weg zum größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte“. Deshalb treffe man sich an diesem Tag — auch in Neuss. „Auch in Neuss schauten die Feuerwehr nur zu, wie die Synagoge brannte“, sagt der Lehrer.
Bürgermeister Herbert Napp mahnte, das Geschehene zeige, „was passieren kann, wenn Menschen keine Werte mehr kennen. Und es zeigt die Folgen, wenn Menschen wegsehen.“ An die Jugendlichen gewandt erklärte der Stadtchef, auch heute jeder Einzelne sei verantwortlich, „dass Ausgrenzung, Intoleranz, Antisemitismus und Gewalt Andersdenkenden gegenüber keine Chance mehr haben“.
Mit der Verlesung des Psalms 36 — „die Hand der Frevler soll mich nicht vertreiben“ — und dem jüdischen Totengebet klang die Gedenkstunde aus.