„Gottes Wort ist Menschenwort“

Lesemarathon: Über einen Zeitraum von 84 Stunden wurde in Rosellerheide die Bibel vorgelesen.

<strong>Neuss. Die Mehrzahl der Zuhörer sitzt gegenüber dem Altar im Dunkeln - einige haben die Augen geschlossen. Der gesamte Innenraum der Kirche strahlt konzentrierte Ruhe aus. Nur die Seitenflügel sind schwach von elektrischem Licht beleuchtet. An einem mit schlichtem Tuch bedecktem Tisch sitzt ein Mann und liest. Der Schein einer Schreibtischlampe beleuchtet sein Gesicht und seine Hände. Von Zeit zu Zeit streicht er über die Buchseiten, um das Papier zu glätten, das von dem fokussierten Licht geradezu zu leuchten scheint.

"Es wird in diesem Raum nichts weiter gesagt - nur das biblische Wort erklingt."

Der Auftritt des Präses der evangelischen Kirche im Rheinland, Nikolaus Schneider, am Samstag war eine der Lesungen in der Trinitatiskirche in Rosellerheide, der besondere Aufmerksamkeit zuteil kam. Von Donnerstagmorgen bis Sonntagabend ist dort in einem 84-stündigen Lesemarathon im Rahmen eines einzigen Gottesdienstes die ganze Bibel gelesen worden. Die ungewöhnliche Aktion hätte kaum in größerem Kontrast zum lärmenden Weihnachtsgeschäft stehen können, das jetzt in seine heiße Phase geht.

"Es wird in diesem Raum nichts weiter gesagt - nur das biblische Wort erklingt", erläutert Pfarrer Hermann Schenck, der die Lesung bereits zum zweiten Mal initiiert hat. "Wir möchten die Leute dazu bewegen, die Bibel mal wieder zu lesen", erklärt er. Mit der Resonanz ist er sehr zufrieden. Als Präses Schneider am frühen Samstagabend aus dem Buch des Propheten Hesekiel liest, haben sich etwa 20Zuhörer eingefunden. "Es gibt Besucher, die nur ein paar Minuten hereinschauen, andere wiederum hören zwei Stunden lang zu", berichtet Schenck.

Insgesamt haben 225Männer und Frauen der evangelischen, katholischen und altkatholischen Kirche sowie der Freikirche an der Lesung mitgewirkt. "Die Bibel ist das Gemeinsame aller Christen, insofern haben sich alle gerne beteiligt", sagt Schenk. "Wir glauben als Christen, dass die Bibel zwar von Menschen geschrieben ist, aber dass sie das Wort Gottes widerspiegelt, dass so seine Wirkung entfaltet - Gottes Wort ist Menschenwort", erklärt der Pfarrer.

Damit die Mammut-Veranstaltung reibungslos ablaufen konnte, war viel organisatorischer Aufwand erforderlich. "Wir haben einen ganz genauen Zeitplan", erklärt Schenk. "Alle 15 Minuten erfolgt ein fliegender Wechsel. Aber man kann das nicht forcieren, der Leserhythmus ist zu verschieden. Schließlich haben wir auch achtjährige Kinder mit dabei. Außerdem darf sich jeder auch mal verlesen."