„Killer Shrimp“ ist kein Monster

Der Höckerflohkrebs galt als gefräßig und aggressiv. Inzwischen ist klar, dass das Tier in der Erft vegetarisch lebt.

Foto: Rose

Neuss/Grevenbroich. Lange Zeit bereitete ein winziges Tier dem Erftverband großen Sorgen. Der gerade einmal 20 Millimeter kleine Höckerflohkrebs stand jahrelang im Verdacht, sich in der Erft auszubreiten und dort seine einheimischen Artgenossen unersättlich zu vertilgen. Das brachte ihm den unrühmlichen Namen „Killer Shrimp“ ein. Mittlerweile wissen die Bergheimer Gewässerexperten: Ein blutrünstiger Mörder ist er nicht, der Höckerflohkrebs. Im Gegenteil.

Das Tier stammt ursprünglich aus dem kaspischen Raum. In den Ballasttanks von Schiffen ist es vermutlich über die Donau in den Rhein gelangt. Zum Anfang des Jahrtausends machte sich der Krebs allmählich auch in den Nebengewässern des Stroms breit — und Udo Rose vom Erftverband schlug 2012 Alarm. „In einem Neusser Abschnitt des Flusses trat der Höckerflohkrebs massiv auf. Ebenfalls im Gillbach, dort hatte er sich in südlicher Richtung bis Langwaden ausgebreitet. Wir befürchteten, dass er wegen seiner Gefräßigkeit die Artenvielfalt in den beiden Flüssen empfindlich stören könnte“, so der Biologe.

Die Sorge war gerechtfertigt. Denn der „Killer Shrimp“ — das ergaben Forschungen unter Laborbedingungen — griff in den Aquarien des Erftverbandes hemmungslos heimische Bachflohkrebse, Asseln und andere kleine Wasserlebewesen an. „Er knackte sogar Schnecken und vertilgte sie“, schildert Udo Rose. Damals hatte der Biologe noch die Hoffnung, dass das Erftwehr an der Erprather Mühle in Neuss eine Verbreitung des Krebses in Richtung Mündung verhindern könnte — doch vergebens. Mittlerweile ist das Tier bis nach Grevenbroich vorgedrungen. Im Gillbach hat er zudem das Wehr in Langwaden überwunden und ist weiter nach Süden vorgedrungen. Stellenweise tummeln sich in den Gewässern bis zu 100 Exemplare pro Quadratmeter.

Doch Grund zu großer Sorge besteht jetzt offenbar nicht mehr. „Mittlerweile ist die Wissenschaft in Sachen Höckerflohkrebs einen Schritt weiter“, sagt Rose. Forschungen — unter anderem der Universität Koblenz-Landau — ergaben, dass der „Killer Shrimp“ so mörderisch gar nicht ist. „Der Name wurde ihm in der ersten Aufruhr, in einer Art Hysterie verpasst. Jetzt gehen wir davon aus, dass der Krebs in der Erft nicht als der große Räuber auftritt, sondern hauptsächlich als Vegetarier“, sagt Rose. „Er ernährt sich von verrotteten Blättern und von allem, was im Fluss wächst oder in ihn hineinfällt.“ Da bei den Experimenten in den Aquarien zwar heimische Kleinlebewesen, aber keine Pflanzenreste vorhanden waren, habe sich der Krebs über alles hergemacht, was ihm nicht entwischen konnte. „Er hatte halt Hunger“, sagt Rose. Unter natürlichen Bedingungen lebe das Tier in einer Co-Existenz mit anderen Arten.

Das gilt für Erft und Gillbach. Im Rhein verhält sich der „Shrimp“ etwas anders. Dort vertilgt er neben Pflanzenresten hauptsächlich größere Mengen eines anderen eingewanderten Flusskrebses mit dem komplizierten Namen „Echinogammarus ischnus“. Warum er im Strom als Allesfresser und damit weitaus aggressiver als im Nebenfluss auftritt, ist eine noch offene Frage. „Das könnte mit den unterschiedlichen Strukturen der Gewässer zusammenhängen“, sagt Udo Rose. „Das ist nur eine Vermutung.“

Zum theoretischen Teil der Höckerkrebs-Forschung gehört auch, dass der „Shrimp“ zwar ein Einwanderer ist — aber möglicherweise einer, der wieder nach Hause kommt. „In der Eiszeit sind fast alle Arten ausgestorben, auch die kleinen Flusskrebse“, berichtet Rose. „Es dauert lange, bis dass sie wiederkommen, das ist ein natürlicher Prozess.“

Dass der vegetarische Höckerflusskrebs dafür verantwortlich ist, dass die in den vergangenen Jahren um sich greifende Muschelblume — eine tropische Pflanze, die sich in der Erft ausbreitet — weniger geworden ist, glaubt Rose jedoch nicht. „Die Erft ist durch die Umverteilung von Sümpfungswasser aus dem Tagebau im Winter um ein, zwei Grad kälter geworden. Vielleicht ist das der Grund.“