Nach Messer-Angriff in Neuss Nach 21 Jahren in Freiheit: 43-Jähriger wegen versuchten Mordes vor Gericht

21 Jahre nachdem er einen versuchten Mord begangen haben soll, steht ein 43-Jähriger vor dem Landgericht Düsseldorf. Ihm wird ein Messerangriff vorgeworfen, durch den er sich an dem Opfer habe rächen wollen.

Der Angeklagte verdeckt sein Gesicht mit einem Ordner.

Foto: Matheo Berndt

Vor über 20 Jahren soll sich in der Neusser Innenstadt ein Mordversuch zugetragen haben, der seit Montag im Landgericht Düsseldorf verhandelt wird. Der Angeklagte, der in Frankreich wohnt und im Besitz der türkischen Staatsangehörigkeit ist, soll im Februar 2002 mit seinem in einem gesonderten Verfahren angeklagten Vater versucht haben, vor einem türkischen Club in Neuss einen Mann zu töten. Er soll angenommen haben, dass dieser eine Affäre mit seiner damaligen Frau hatte, und habe, so die Anklage, vorgehabt, sich an dem Mann zu rächen und dadurch „die Familienehre wiederherzustellen“.

Laut Anklageschrift soll der heute 43-Jährige mit seinem Vater am 14. Februar 2002 gegen 20 Uhr vor dem Club auf das Opfer gewartet haben, das dort häufiger zu Gast war. Als das Opfer das Gebäude verließ, soll der Vater des Angeklagten auf den Mann eingeschlagen und der Angeklagte selbst ihm mit einem Messer in den Bauch gestochen haben. Das Opfer erlitt eine etwa vier Zentimeter tiefe, lebensgefährliche Stichverletzung am Bauch und eine weitere Verletzung am Arm, konnte jedoch in den Club flüchten. Der Geschädigte begab sich daraufhin in ein Krankenhaus und überlebte den Angriff. Etwa ein Jahr später wurde er in die Türkei ausgewiesen.

Die meisten Aussagen stammen aus Niederschriften der Polizei

Aufgrund der außergewöhnlich langen Verfahrensdauer und des damit mehr als zwei Jahrzehnte zurückliegenden Geschehens sind mehrere wichtige Zeugen nicht mehr auffindbar, darunter neben dem Opfer auch die damalige Frau des Angeklagten. Weitere Zeugen machten am Montag von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch, unter anderem der Onkel des Angeklagten, der sich in der Vergangenheit bereits selbst vor Gericht zu dem Vorfall verantworten musste. Da die Ereignisse so weit zurückliegen, wird in der Vernehmung häufig auf Polizeiniederschriften aus der Nacht der Ereignisse zurückgegriffen, da die Zeugen häufig angeben, sich nicht mehr genau erinnern zu können; so auch bei dem heute 60 Jahre alten Sohn des damaligen Clubbetreibers. Er erzählt in der Niederschrift aus dem Februar 2002, das Opfer sei damals regelmäßig in den türkischen Club gekommen. Auch einen der mutmaßlichen Täter meint er von dort gekannt zum haben, er sei „so etwas wie ein Verwandter“ des Opfers gewesen, der ab und zu mit ihm Tee getrunken habe oder spazieren gegangen sei. An jenem Abend sei dieser Mann in den Club gekommen und habe das Opfer vor die Tür gerufen. Kurz nachdem die beiden den Club verließen, habe der Zeuge laute Geräusche gehört, „so als sei jemand gegen die Wand geworfen worden“. Laut der Niederschrift habe der Zeuge selbst den Club verlassen und das Opfer, den Mann von zuvor und zwei weitere Männer in eine Prügelei verwickelt gesehen. Bei der Verhandlung berichtet er, dass er sich zwischen die Täter und das Opfer gestellt, dieses in den Club gezogen und den anderen Männern den Weg hinein versperrt habe. Ein Neusser Fotograf überredete das Opfer schließlich, sich trotz dessen Bedenken gegenüber Polizei und Rettungskräften von dem heute 58-Jährigen in ein Krankenhaus fahren zu lassen. Auf dem Weg dorthin habe der Verletzte zu ihm das türkische Wort „Namus“ gesagt, was übersetzt soviel wie „Ehre“ bedeutet. Der Sohn des Betreibers gab an, sowohl den Geschädigten als auch den zweiten ihm bekannten Mann nach diesem Abend nie wieder gesehen zu haben, lediglich von der Ausweisung des Opfers habe er später gehört.

Die Verteidigung stellt im Zusammenhang mit der langen Zeitspanne die Frage, warum nur national, nie international nach dem Angeklagten gesucht wurde. Dieser sei an seinem Wohnsitz in Frankreich ordnungsgemäß gemeldet und somit durchaus auffindbar gewesen. Man könne aus der Akte nicht erkennen, dass die Staatsanwaltschaft „wirklich alle Hebel in Bewegung gesetzt habe“, so Verteidiger Leonard Mühlenfeld. Der Angeklagte war erst durch eine erneute Einreise im vergangenen September bei einer Grenzkontrolle festgenommen worden.