Neuss: Vernarrt in das Werk einer Pionierin

Sels: Museumschefin Gisela Götte hat eine ganz besondere Beziehung zur Malerin Paula Modersohn-Becker,die vor genau 100 Jahren starb.

Neuss. Gisela Götte ist seit 1985 Direktorin für die Kunst des 19. und 20.Jahrhunderts am Clemens-Sels-Museum. Seit dem Aufstieg ihrer ehemaligen Museumschefin Christiane Zangs zur Kulturdezernentin obliegt ihr auch die Geschäftsführung und Verwaltung von "Clemens Sels", und zwar über ihren 65.Geburtstag hinaus. Das ist jedoch noch nicht alles. Die Chefin vom Obertor ist auch Vorsitzende der Paula Modersohn-Becker-Stiftung in Bremen. Hier ist sie gegenwärtig besonders gefordert, denn die Malerin ist im November vor 100Jahren viel zu jung an einer Embolie im Alter von 31Jahren gestorben.

Gisela Götte hat eine ganz besondere Beziehung zur Pionierin der europäischen Moderne. Erstaunliches erzählt Götte aus ihrer sehr, sehr langen Familiengeschichte: Sie reicht bis zu ihrem Großvater Ludwig Roselius zurück, der 1874 geboren wurde, also zwei Jahre älter als "Paula" war, und der 1943 starb, als Gisela Götte gerade ein Jahr alt war. Dieser Großvater, den die "Neusserin" nur vom Hörensagen kennt, muss vernarrt in das Werk der "Paula Becker" gewesen sein, wie die Malerin mit Mädchennamen hieß.

Er war ein reicher Mann, extrem reich, ein Industrieller, der das Geld besaß, um alle Bilder, deren er habhaft wurde, von "seiner" Malerin zu kaufen. Heute werden große Teile ihrer Kunst im Paula Becker-Modernsohn-Haus an der Böttcherstraße verwahrt, das Roselius 1927 von Berndhard Hoetger für seine Privatsammlung errichten ließ. Ohne diesen Großvater wäre die Paula nie so konzentriert an einem Ort gesammelt worden, denn wer kannte die junge Frau denn schon?

Gisela Götte zur WZ: "Mein Großvater hat sich eben in das Werk der Künstlerin verliebt." Und Gisela Götte? "Es war nicht so, dass ich mich aus Familienbanden auf Paula konzentrierte. Ich habe sie für mich selbst entdeckt. Darauf bin ich stolz."

Wo aber sind Opas Schätze? Jedenfalls nicht in der Privatwohnung der Museumschefin und auch nicht hinter einem Vorhang, hinter dem der Großvater die Bilder vor den Nazis schützte, weil sie als entartet galten. Ihr Onkel Ludwig Roselius junior erbte Kunst, Firma und Böttcherstraße, und er verkaufte die Firma und die Böttcherstraße. Die Bilder und das Museum aber gehören heute einer Stiftung, in der sich die Sparkasse Bremen sehr engagiert.

In Bremen, wo Gisela Götte von 1977 bis 1984 an der Kunsthalle tätig war, fing sie Feuer. Heute ist die Stiftung bei jeder Ausstellung beteiligt, sitzt im Beirat der Kunsthalle. Und Gisela Götte ist deren Sprecherin. Was die Neusserin an Paula Modersohn-Becker fasziniert? "Sie ist zumindest für kurze Zeit der Malerei Europas vorangeschritten. Sie hat früher als die deutschen Expressionisten und zeitgleich mit Picasso gewisse kubistische Bildauffassungen verwirklicht. Sie ist eine ganz große Künstlerin, mit einer völlig eigenen Bildsprache. Sie verdichtet die Form zu einem letztgültigen Ausdruck."

Zweimal hat Gisela Götte "ihrer" Künstlerin eine Ausstellung in der Quirinusstadt gewidmet, die erste war im Jahr 1985und legte die Bezüge der Künstlerin zu Paris offen. Die zweite Schau war ein Dialog zwischen der Modersohn-Becker und Käthe Kollwitz. Götte: "Paula Modersohn-Becker gilt ja als eine Identifikationsfigur für den Feminismus, aber darüber hinaus ist sie eine große Künstlerin."